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Arbeitnehmerstatus des Betreibers einer Waschstraße

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 12.11.2024 – 9 AZR 205/23 entschieden, dass der Betreiber einer Waschstraße unter den gegebenen Umständen nicht als Arbeitnehmer im Sinne des § 611a Abs. 1 BGB, sondern als freier Dienstnehmer einzuordnen ist.

Sachverhalt

Zwischen dem Kläger und der Beklagten war streitig, ob zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht, aus dem der Kläger Vergütungsansprüche herleiten kann. Die Beklagte unterhält bundesweit mehr als 300 Autowaschstraßen. Der Kläger betreibt seit dem 1. Juli 2009 im Namen und für Rechnung der Beklagten deren Autowaschstraße in der Stadt H. Der am 15./16. Juli 2009 geschlossene „Partnervertrag“ der Parteien, in dem der Kläger als Partner bezeichnet wird, beschreibt den Kläger als „selbstständigen Gewerbetreibenden“ und räumt diesem hinsichtlich der Arbeitszeit und der durchzuführenden Aufgaben weitgehende Freiheiten ein. Auch eigenes Personal kann durch den Kläger eingesetzt werden. Der Kläger verpflichtete sich vertraglich ein eigenständiges Gewerbe anzumelden und die Umsatzteuer abzuführen. Die Preisgestaltung sowie die Betriebszeiten der Waschanlage wurde zwischen den Vertragsparteien abgestimmt. Der Kläger erhielt für seine Tätigkeit Umsatzprovisionen. Die Parteien einigten sich zunächst auf folgende Betriebszeiten: montags bis freitags von 08:00 bis 20:00 Uhr, samstags von 08:00 bis 18:00 Uhr sowie sonntags von 13:00 bis 18:00 Uhr. Auf Wunsch des Klägers wurden ab dem 1. Juni 2020 abweichende Winteröffnungszeiten vereinbart. Der Kläger stellte zum Betrieb der Waschstraße eigenes Personal ein und erzielte im Jahr 2020 Provisionseinnahmen in Höhe von 28.626,59 EUR. Der Kläger reichte beim Arbeitsgericht Hamburg Klage auf Feststellung eines Arbeitsverhältnisses sowie auf Zahlung von Arbeitsentgelt ein.  Das Arbeitsgericht Hamburg wies die Klage ab. Das LAG Hamburg hat die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

Die von dem Kläger beim BAG eingelegte Revision hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des BAG betreibe der Kläger die Waschstraße der Beklagten nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses, sondern als freier Dienstnehmer. Ein Arbeitsverhältnis unterscheide sich von dem Rechtsverhältnis eines selbstständig Tätigen durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit des Verpflichteten. Arbeitnehmer sei, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Die Begriffe der Weisungsgebundenheit und Fremdbestimmung seien eng miteinander verbunden und überschnitten sich teilweise. Eine weisungsgebundene Tätigkeit sei in der Regel zugleich fremdbestimmt. Das Merkmal der Fremdbestimmung könne in Bezug auf die Eingliederung des Arbeitnehmers in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers eigenständige Bedeutung erlangen. Es sei erforderlich, dass beide Kriterien – die Bindung an Weisungen und die Fremdbestimmung – einen Grad an persönlicher Abhängigkeit des Arbeitnehmers erreichen müssten, der für ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 611a BGB prägend sei. Die Weisungsbindung sei das engere, den Vertragstyp im Kern kennzeichnende Kriterium, das durch § 611a I Satz 2 bis Satz 4 BGB näher ausgestaltet werde. Weisungsgebundenheit und damit korrelierende Weisungsrechte könnten auch außerhalb eines Arbeitsverhältnisses bestehen. Die arbeitsrechtliche Weisungsbefugnis sei daher von dem Weisungsrecht in Vertragsverhältnissen mit Selbstständigen, insbesondere Werkunternehmern (vgl. § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB), abzugrenzen. Die Anweisungen gegenüber Selbstständigen seien typischerweise sachbezogen und ergebnisorientiert ausgestaltet und richteten sich damit auf die zu erbringende Dienst- oder Werkleistung. Im Unterschied dazu sei das arbeitsvertragliche Weisungsrecht personenbezogen und ablauforientiert geprägt. Das arbeitsvertragliche Weisungsrecht beinhalte Anleitungen zur Vorgehensweise des Mitarbeiters, die nicht Inhalt des werkvertraglichen Anweisungsrechts seien.

Zur Feststellung der Rechtsnatur des konkreten Rechtsverhältnisses sei nach § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB eine Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls erforderlich. Von einem Arbeitsverhältnis könne erst dann ausgegangen werden, wenn den Umständen, die für eine persönliche Abhängigkeit sprächen, im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung hinreichendes Gewicht beizumessen sei oder sie dem Rechtsverhältnis sein Gepräge gäben. Bei den Umständen, die Gegenstand der nach § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB vorzunehmenden Gesamtbetrachtung seien, komme es nicht auf die vertraglich vereinbarten Bedingungen an, wenn der Beschäftigte abweichend von den getroffenen Vereinbarungen tatsächlich weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit leiste. Die gesetzliche Anordnung in § 611a Abs. 1 Satz 6 BGB bedinge eine abgestufte Prüfung. Zunächst sei der Vertrag der Parteien nach § 157 BGB auszulegen. Ergebe sich bereits daraus, dass die Parteien ein Arbeitsverhältnis begründen wollten, werde der Arbeitnehmerstatus allein hierdurch verbindlich festgelegt, ohne dass es auf die Vertragsdurchführung ankomme. Führe die Auslegung des Vertrags zu dem Ergebnis, dass der Dienstverpflichtete als Selbstständiger tätig werden solle, sei in einem zweiten Schritt die tatsächliche Durchführung des Vertrags in den Blick zu nehmen. Stimme die Vertragspraxis mit den vertraglichen Vorgaben überein, liege kein Arbeitsverhältnis, sondern Selbstständigkeit vor. Weiche die tatsächliche Durchführung des Vertrags von den Vertragsbestimmungen ab, richte sich die Rechtsnatur des Vertragsverhältnisses allein nach der Vertragsdurchführung, die für sich anhand der Vorgaben des § 611a Abs. 1 BGB zu würdigen sei. Dabei seien einzelne Vorgänge der Vertragsabwicklung zur Feststellung eines vom Vertragswortlaut abweichenden Geschäftsinhalts nur geeignet, wenn es sich dabei nicht um untypische Einzelfälle, sondern um beispielhafte Erscheinungsformen einer durchgehend geübten Vertragspraxis handle. Dafür sei nicht die Häufigkeit, sondern seien Gewicht und Bedeutung der Vertragsabweichung entscheidend. Die Parteien hätten den „Partnervertrag“ weder als Arbeitsverhältnis klassifiziert noch darin Regelungen getroffen, die in ihrer Gesamtschau auf einen Arbeitsvertrag schließen ließen. Eine Vielzahl von Vertragsbestimmungen deute darauf hin, dass der Partnervertrag einen dienstvertraglichen Inhalt habe. Der Kläger führe den Betrieb der Beklagten nach dem Vertrag als „selbstständiger Gewerbetreibender“. Damit korrespondiere die Verpflichtung des Klägers, sein Gewerbe bei der zuständigen Behörde anzumelden und Umsatzsteuer an das zuständige Finanzamt abzuführen, ohne dass hierdurch die Rechtsnatur des Vertrags verbindlich vorgegeben werde. Anders als einem Arbeitnehmer (§ 106 Satz 1 GewO) erlaube der Partnervertrag dem Kläger, „nach Maßgabe … (des) Vertrags seine Tätigkeit frei zu gestalten und seine eigene Arbeitszeit selbst zu bestimmen“. Zudem spreche gegen eine Arbeitnehmereigenschaft der Umstand, dass Partnervertrag den Kläger von der Verpflichtung entbinde, die Arbeitsleistung höchstpersönlich zu erbringen. Stattdessen sei ihm gestattet, für die durchzuführenden Aufgaben und Arbeiten Personal einzusetzen. Das Berufungsgericht habe auch in ausreichendem Maße berücksichtigt, dass der Partnervertrag Regelungen enthalte, die den Kläger in der freien Gestaltung seiner Tätigkeit einschränkten.

Hinweise für die Praxis

In der Praxis kommt der Abgrenzung von Arbeitnehmern und freien Mitarbeitern und „Beratern“ erhebliche Bedeutung zu. Wenn eine Person irrtümlicherweise als freier Mitarbeiter eingestuft wird, besteht die Gefahr, dass diese Person zu Recht Ansprüche aus den Schutzvorschriften des Arbeitsrechts geltend macht. Wird der Arbeitnehmerstatus bejaht, ist die betreffende Person auch rückwirkend wie ein Arbeitnehmer zu behandeln – einschließlich eines möglichen Anspruchs auf Arbeitsentgelt in Höhe der Vergütung vergleichbarer Arbeitnehmer. Daneben können etwa die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes sowie weiterer Arbeitnehmerschutzvorschriften Anwendung finden. Große Risiken bestehen zudem in finanzieller Hinsicht in Bezug auf die sozialversicherungsrechtlichen, steuerrechtlichen und gegebenenfalls strafrechtlichen Konsequenzen. Unternehmen sollten deshalb bereits im Vorfeld einer Zusammenarbeit sorgfältig prüfen, wie die Rechtsbeziehung einzuordnen ist. Unter Umständen bietet sich ein Statusfeststellungsverfahren an, um mit einer bindenden Entscheidung der Sozialversicherungsträger Rechtssicherheit zu erhalten.

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