Öffentliche Beschaffungen in Zeiten der Corona-Pandemie

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Welche Möglichkeiten haben öffentliche Auftraggeber, um angesichts der Corona-Krise einen dringenden Beschaffungsbedarf zu decken?

Das Vergaberecht bietet im Ober- und Unterschwellenbereich vielfache Vereinfachungen und erweiterte Möglichkeiten im Bereich der Verfahrenswahl, aber auch der Fristgestaltung, aufgrund derer es öffentlichen Auftraggebern unter erleichterten Voraussetzungen möglich ist, einen „Corona-bedingten“ Beschaffungsbedarf zu decken.

Abseits der Durchführung eines Vergabeverfahrens bietet es sich für öffentliche Auftraggeber an, zunächst zu prüfen, ob eine Verlängerung oder Veränderung eines bestehenden Auftrages möglich ist. Bei unwesentlichen Änderungen ist eine Verlängerung bzw. Vertragsanpassung eines abgeschlossenen Vertrags ohne neues Vergabeverfahren zulässig. Während der Spielraum im Oberschwellenbereich in Bezug auf die Annahme einer „unwesentlichen Änderung“ relativ gering ist, ist er im Unterschwellenbereich ungleich größer.

Welche weiteren strategischen Möglichkeiten haben öffentliche Auftraggeber in Bezug auf corona-bedingte Beschaffungen?

Öffentliche Auftraggeber sollten evaluieren, ob und inwieweit ein Corona-bedingter Beschaffungsbedarf über einen bestehenden Rahmenvertrag gedeckt werden kann. Ist dies nicht der Fall, kann es sich anbieten, einen kurzfristigen Beschaffungsbedarf durch ein Vergabeverfahren zu decken und dieses als Grundlage für die Ausschreibung eines flexibleren Rahmenvertrages zu nutzen bzw. wiederzuverwerten.

Welche besonderen Verfahrensarten kommen zur Deckung eines corona-bedingten kurzfristigen Beschaffungsbedarfs im Oberschwellenbereich in Betracht?

Erreichen öffentliche Aufträge die EU-Schwellenwerte nach § 106 GWB (zurzeit für klassische Liefer- und Dienstleistungen 139.000 Euro bei obersten Bundesbehörden und 214.000 Euro für alle anderen Behörden), sind die vom EU-Vergaberecht geprägten Vorschriften des Teil 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und die hierauf erlassenen Rechtsverordnungen anwendbar.

Aufgrund der bestehenden Corona-Pandemie kommt für Beschaffungen, welche im Zusammenhang mit der Beschränkung, Eindämmung oder Behandlung des Corona-Virus stehen, sowie solche, welche der Aufrechterhaltung der öffentlichen Verwaltung und wohl auch der Daseinsfürsorge dienen, eine Vergabe im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb in Betracht.

Angebote können im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb formlos und ohne die Beachtung konkreter Fristvorgaben eingeholt werden.

Zudem ist es unter gewissen Voraussetzungen zulässig, dass – anders als gesetzlich grundsätzlich vorgegeben – nur ein Unternehmen zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert wird.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hat in seinem als Auslegungshilfe dienenden Schreiben vom 19.03.2020 die äußerst zwingenden dringlichen Gründe, welche Voraussetzung für die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb sind, etwa für Heil- und Hilfsmittel, aber auch IT-Gerät zur Einrichtung von Homeoffice, in einer nicht abschließenden Liste, für den Oberschwellenbereich in Bezug auf die derzeit vorherrschende Corona-Pandemie bejaht.

Die grundsätzliche Bejahung eines äußerst dringenden und zwingenden Grundes in Form der Corona-Pandemie gilt jedoch nicht allgemein, sondern ist für jede Beschaffungsmaßnahme gesondert zu prüfen.

Welche besonderen verfahrensrechtlichen Möglichkeiten ergeben sich bei einer corona-bedingten Vergabe im Unterschwellenbereich?

Bei öffentlichen Aufträgen unterhalb der EU-Schwellenwerte bietet sich für eine schnelle und effiziente Beschaffung in Dringlichkeits- und Notfallsituationen wie der Corona-Pandemie synonym zum Oberschwellenbereich eine Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb nach Maßgabe der Bestimmungen der Unterschwellenvergabeverordnung (UVgO) an, sofern und soweit diese aufgrund der Bestimmungen in den Bundesländern anwendbar ist.

Einige Bundesländer haben die im Bereich der Unterschwellenvergabe geltenden Regelungen, insbesondere jene der UVgO jüngst teilweise außer Kraft gesetzt. So wurden etwa die Werte für die Direktvergabe und die freihändige Vergabe aufgrund der Corona-Pandemie angehoben (Bayern) oder die Bestimmungen faktisch (Hamburg) oder durch rechtliche Regelung zeitweise ausgesetzt (NRW).

Welche weiteren verfahrensrechtlichen Möglichkeiten stehen öffentlichen Auftraggebern neben der Wahl der Verfahrensart corona-bedingt noch zur Verfügung?

Die Corona-Pandemie kann öffentlichen Auftraggebern im Rahmen der jeweiligen Verfahrensart die Möglichkeit zu rechtlich zulässigen Fristverkürzungen geben, im Einzelfall gar bis auf „0“ Tage. Aus Sicht der öffentlichen Auftraggeber gilt es hier jedoch mit Augenmaß zu agieren, da Sinn eines jeden Vergabeverfahrens nicht der Abschluss eines Vertrages, sondern die Deckung eines Beschaffungsbedarfs ist. Vor diesem Hintergrund sollten die Belastungen und die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft bei der Vorgabe der Angebots- und der Leistungsfrist mit in die Überlegungen eingestellt werden.

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