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Die Folgen des Brexit für die justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen seit dem 01.01.2021

Nach Ablauf der im Austrittsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich vereinbarten Übergangsfrist, ist die Brüssel Ia-/EuGV-VO („EuGVVO") seit dem 01.01.2021 nicht mehr bei Verfahren mit Bezug zum UK anwendbar: Das UK ist zum Drittstaat geworden. Die einheitlichen Zuständigkeitsregelungen, die automatische Anerkennung von Urteilen und eine unkomplizierte Vollstreckung ohne gesondertes Verfahren gehören damit der Vergangenheit an. Da es im Handels- und Kooperationsabkommen (EU-UK Trade and Cooperation Agreement, „TCA“) an jeglicher Regelung zur justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen zwischen der EU und dem UK fehlt, kam es in diesem Bereich zu einem „mini-hard Brexit". Künftig gilt ein Potpourri aus multilateralen und bilateralen Verträgen sowie dem jeweiligen nationalen Recht. Aber auch nach dem deutschen Zivilprozessrecht wird das UK von nun an als Drittstaat behandelt mit der Folge, dass die beklagte Partei von einem britischen Kläger die Stellung einer Pro­zesskostensicherheit nach § 110 ZPO verlangen kann.

1. Verfahren vor ordentlichen Gerichten

a)  Multilaterale Abkommen 

(1)   Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen (HGÜ)

Wenn die Parteien Kaufleute sind und eine Gerichtsstandsvereinbarung geschlossen haben, finden die Regeln des HGÜ Anwendung. Aufgrund des Beitritts des UK mit Wirkung zum 01.04.2019 (aufschiebend bedingt durch den Vollzug des Brexit) im eigenen Namen und nicht - wie bisher als EU-Mitgliedstaat - gilt das Abkommen weiterhin gegenüber dem UK. Im HGÜ verpflichten sich die Vertragsstaaten, Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen Kaufleuten anzuerkennen und die aufgrund solcher Vereinbarungen ergangenen Urteile in einem vereinfachten Verfahren anzuerkennen und zu vollstrecken. Die Vollstreckung eines im UK ergangenen Urteils in Deutschland richtet sich konkret nach dem AVAG: Es bedarf keines gesonderten Anerkennungs- und Vollstreckbarkeitsurteils, sondern nur eines Antrags des Vollstreckungsgläubigers. Das zuständige Landgericht entscheidet dann ohne Anhörung des Vollstreckungsschuldners über die Erteilung der Vollstreckungsklausel. Allerdings hat das HGÜ einen beschränkten Anwendungsbereich: Es findet nur Anwendung auf Kaufleute und schließt einige Streitigkeiten aus, wie z.B. erbrechtliche oder kartellrechtliche (wettbewerbsrechtliche) Angelegenheiten oder Ansprüche aus Miete und Pacht.

(2)   Lugano Übereinkommen (LugÜ)

Auch das LugÜ enthält Regelungen zur gerichtlichen Zuständigkeit sowie der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Es entspricht inhaltlich im Wesentlichen der EuGVVO und erweitert deren Anwendungsbereich auf die EFTA-Staaten. Im Verhältnis zwischen Deutschland und UK kommt es allerdings nicht zu Anwendung. Das UK hat zwar bereits am 08.04.2020 ein Beitrittsverlangen zum LugÜ eingereicht; die EU hat aber bisher weder im TCA noch sonst ihre erforderliche Zustimmung dazu erteilt. Aus Verhandlerkreisen ist zu hören, dass die EU-Kommission eine Aufnahme des UK zum LugÜ ablehnt, nachdem sich das UK entschieden hat, den Binnenmarkt zu verlassen.

b)   Deutsch-britisches Abkommen

Auch das deutsch-britische Abkommen von 1960 sieht ein vereinfachtes und beschleunigtes Verfahren der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen vor, die zur Zahlung einer Geldsumme verurteilen. Ob dieses Abkommen nach dem Brexit wieder gilt, ist fraglich: Zwar wurde es nie durch die europäischen Übereinkom­men formell aufgehoben. Das Abkommen gilt allerdings als veraltet. Zudem hat sich die Kommission gegen die Anwendbarkeit ausgesprochen, und auch das UK scheint von der Geltung seines nationalen Rechts auszugehen.

c)    EuGVVO und nationales Recht

(1)   Zuständigkeit

In Bereichen, für die kein internationales Abkommen gilt, wird die internationale Zuständigkeit in Deutschland weiterhin nach der EuGVVO beurteilt. Sie ist allerdings nur in bestimmten Fällen auf Drittstaaten anwendbar, z. B. können Verbraucher ihren Vertrags­partner stets am Gericht des eigenen Wohnorts verklagen. Verfahren über dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie die Miete von unbeweglichen Sachen werden vor dem Gericht des Mitgliedstaates betrieben, in dem die unbewegliche Sache belegen ist. Im Übrigen verweist die EuGVVO auf die nationalen Vorschriften der ZPO.

(2)   Anerkennung und Vollstreckung

Für die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen aus dem UK in Deutschland gelten die §§ 328, 722, 723 ZPO. Es bedarf daher künftig eines gesonderten Vollstreckungsurteils. Darin prüft das deutsche Gericht zwar nicht die inhaltliche Richtigkeit des britischen Urteils, aber Formalien wie die ordnungsgemäße Zustellung oder die Verteidigungsmöglichkeit vor Gericht. Theoretisch ist damit denkbar, dass das Vollstreckungsurteil anders lautet als die Entscheidung im Ursprungsstaat und eine Vollstreckung daher nicht möglich ist.

Dasselbe gilt umgekehrt für die Anerkennung und Vollstreckung deutscher Urteile in Großbritannien: Sie werden nicht mehr automatisch nach den Regelungen der EuGVVO anerkannt und für vollstreckbar erklärt. Stattdessen muss der Kläger künftig eine Klage zur Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach den nationalen common law-Regeln vor einem UK-Gericht erheben.

2. Verfahren vor Schiedsgerichten

Bei der Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen ändert sich gegenüber dem Status quo vor dem Brexit nichts. Im Verhältnis zum UK bleibt die Rechtsgrundlage unverändert das New-Yorker Übereinkommen. Schiedssprüche sind infolgedessen wechselseitig anerkannt und vollstreckbar.

Neu ist die Möglichkeit, künftig Schiedsverfahren vor UK-Gerichten durch sog. anti-suit-injunctions abzusichern. Da die UK-Gerichte nicht mehr an die Rechtsprechung des EuGH gebunden sind, können sie Unterlassungsverfügungen gegenüber einem Kläger erlassen, der in einem EU-Mitgliedstaat ein Gerichtsverfahren anstrengt, obwohl eine Schiedsklausel besteht. Das mag man als Vorteil sehen, es kann aber auch - so die für die UK nicht mehr maßgebliche Ansicht des EuGH - als Beschneidung des gerichtlichen Rechtsschutzes gewertet werden.

Fazit

Auch in Zukunft wird die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen zwischen der EU und dem UK möglich sein. Bei Entscheidungen ordentlicher Gerichte werden die Verfahren dazu aber teurer und aufwändiger. Unternehmen ist zu raten, im Rechtsverkehr mit dem UK vertragliche Schiedsklauseln zu vereinbaren.

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