Dr. Christoph Fingerle, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Verlängerte Kündigungsfristen für Arbeitnehmer

Sind verlängerte Kündigungsfristen für Arbeitnehmer aufgrund des dadurch erhöhten Bestandsschutzes in jedem Fall vorteilhaft oder kann darin eine unangemessene Benachteiligung liegen?

Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 26. Oktober 2017 – 6 AZR 158/16 - entschieden, dass eine unangemessene Benachteiligung entgegen den Geboten von Treu und Glauben im Sinn von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegen kann, wenn die gesetzliche Kündigungsfrist für den Arbeitnehmer in Allgemeinen Geschäftsbedingungen erheblich verlängert wird, selbst dann, wenn die Kündigungsfrist für den Arbeitgeber in gleicher Weise verlängert wird.

Sachverhalt

Der Arbeitnehmer war seit Dezember 2009 als Speditionskaufmann in einer 45-Stunden-Woche gegen eine Vergütung von 1.400,00 Euro brutto in der Leipziger Niederlassung der Arbeitgeberin beschäftigt. Im Juni 2012 unterzeichneten die Parteien eine Zusatzvereinbarung. Sie sah vor, dass sich die gesetzliche Kündigungsfrist für beide Seiten auf drei Jahre zum Monatsende verlängerte, und hob das monatliche Bruttogehalt auf 2.400,00 Euro an, ab einem monatlichen Reinerlös von 20.000,00 Euro auf 2.800,00 Euro. Das Entgelt sollte bis zum 30. Mai 2015 nicht erhöht werden und bei einer späteren Neufestsetzung wieder mindestens zwei Jahre unverändert bleiben. Nachdem ein Kollege des Arbeitnehmers festgestellt hatte, dass auf den Computern der Niederlassung im Hintergrund das zur Überwachung des Arbeitsverhaltens geeignete Programm „PC Agent“ installiert war, kündigten der Arbeitnehmer und weitere fünf Beschäftigte am 27. Dezember 2014 ihre Arbeitsverhältnisse zum 31. Januar 2015. Die Arbeitgeberin klagte auf Feststellung gegen den Arbeitnehmer, dass das Arbeitsverhältnis noch bis zum 31. Dezember 2017 fortbesteht.

Entscheidungsgründe

Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die klagabweisende Entscheidung der Vorinstanz. Die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Verlängerung der Kündigungsfrist benachteilige den beklagten Arbeitnehmer im Einzelfall entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Sie sei deshalb nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Bei einer vom Arbeitgeber vorformulierten Kündigungsfrist, die die Grenzen des § 622 Abs. 6 BGB (die Kündigungsfrist für den Arbeitnehmer ist nicht länger als diejenige für den Arbeitgeber) und des § 15 Abs. 4 TzBfG (ein Arbeitsverhältnis kann einzelvertraglich höchstens für einen Zeitraum von fünf Jahren als ordentlich unkündbar vereinbart werden) einhält, aber wesentlich länger ist als die gesetzliche Regelfrist des § 622 Abs. 1 BGB, ist nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls unter Beachtung von Art. 12 Abs. 1 GG zu prüfen, ob die verlängerte Frist eine unangemessene Beschränkung der beruflichen Bewegungsfreiheit darstellt. Das Landesarbeitsgericht habe ohne Rechtsfehler eine solche unausgewogene Gestaltung trotz der beiderseitigen Verlängerung der Kündigungsfrist bejaht. Der Nachteil für den beklagten Arbeitnehmer werde nicht durch die vorgesehene Gehaltserhöhung aufgewogen, zumal durch die Zusatzvereinbarung das Vergütungsniveau langfristig eingefroren worden sei.

Hinweise für die Praxis

Längere Kündigungsfristen sind also für den Arbeitnehmer nicht in jedem Fall vorteilhaft. Die Entscheidung beschränkt die Möglichkeiten für die Arbeitgeberseite, Mitarbeiter, deren langfristige Beschäftigung für das Unternehmen als wichtig angesehen wird, durch verlängerte Kündigungsfristen an das Unternehmen zu binden. Darüber hinaus besteht dadurch die Gefahr, dieses Bindungsziel nicht zu erreichen, zugleich indes selbst an die verlängert vereinbarten Kündigungsfristen gebunden zu sein.

Da arbeitsvertragliche Vereinbarungen – auch Ergänzungsvereinbarungen – so gut wie niemals individuell ausgehandelt sind, unterfallen sie als Allgemeine Geschäftsbedingungen, in jedem Fall aber als Verbraucherverträge, der gerichtlichen AGB-Kontrolle. Da der Arbeitgeber die Allgemeinen Vertragsbedingungen gestellt hat, kann er selbst sich niemals auf die Rechtsunwirksamkeit der von ihm gestellten Vertragsbedingungen berufen. Im konkreten Fall wäre daher der Arbeitgeber selbst stets an die verlängert vereinbarte Kündigungsfrist gebunden gewesen.

Da die Prüfung, ob eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegt aufgrund aller konkreten Umstände des Einzelfalles erfolgen muss, lassen sich zudem generelle Kriterien dafür, ab wann diese Voraussetzungen erfüllt sind, nicht sicher definieren.

Festgestellt werden kann jedoch:

  • Selbstverständlich dürfen verlängerte Kündigungsfristen nicht einseitig zulasten des Arbeitnehmers vereinbart werden, können nur für beide Vertragsparteien einheitlich verlängert werden.
  • Im Fall einer »wesentlichen Verlängerung« der gesetzlichen Regelfrist des § 622 Abs. 1 BGB soll eine solche unangemessene Benachteiligung vorliegen können. Die Regelfrist nach § 622 Abs. 1 BGB beträgt jedoch bekanntlich nur vier Wochen zum 15. oder zum Ende eines Kalendermonats. Bereits die Erhöhung auf die letzte gesetzliche Verlängerungsstufe für den Arbeitgeber (sieben Monate zum Ende eines Kalendermonats) wäre in diesem Sinne unzweifelhaft eine wesentliche Verlängerung.
  • Die bekannte und häufig verwendete Regelung, dass Kündigungsfristen, die sich aufgrund Gesetzes oder Tarifvertrages für die Arbeitgeberseite verlängern, gleichermaßen vom Arbeitnehmer einzuhalten sind, könnte auf der Grundlage dieser Rechtsprechung bereits nicht mehr rechtswirksam sein. Eine solche Regelung ist indes für die Arbeitgeberseite ohne Risiko, da die dort zitierten Verlängerungen für sie ohnehin gelten. Diese Vereinbarungen können daher auch weiterhin verwendet werden.
  • Bei jeder darüber hinausgehenden Verlängerung ist jedoch besondere Vorsicht geboten.

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