Dr. Ingo Reinke, Gesellschaftsrecht

Insolvenzrecht: Reform der Insolvenzanfechtung verabschiedet

Nach einem langen Gesetzgebungsverfahren hat sich die große Koalition auf der Zielgeraden noch auf einen Kompromiss zu der schon als Entwurf viel diskutierten Reform der Insolvenzanfechtung geeinigt. Der Bundestag hat die Reform am 15.02.2017 verabschiedet.

Die wesentlichen Änderungen im Überblick

Der beschlossene Kompromiss sieht Änderungen und insbesondere Eingrenzungen der sog. Vorsatzanfechtung vor, die in weiten Teilen den berechtigten Anregungen aus der Wirtschaft folgen. Besonders die Vorsatzanfechtung gem. § 133 Abs. 1 InsO stand in ihrer Ausprägung durch die Rechtsprechung in der Kritik, weil sich Anfechtungsgegner derzeit einer Reihe von Vermutungen ausgesetzt sehen, die eine Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Geschäftspartners oft aus ganz normalen Geschäftsvorfällen (wie dem Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung) ableiten. Dies gilt umso mehr, weil die Vorsatzanfechtung nach geltendem Recht generell bis zu 10 Jahre zurückreicht. Diese sehr extensive Rechtsprechung soll durch die Reform auf ein angemessenes Maß zurückgeführt werden. Im Einzelnen wird es folgende Änderungen geben:

  • Die Anfechtungsfrist der Vorsatzanfechtung wird für alle Sicherungen und Befriedigungen von 10 auf 4 Jahre herabgesetzt.
  • Bei (Raten-) Zahlungsvereinbarungen gilt künftig eine Vermutung dahingehend, dass der andere Teil keine Kenntnis von einer Zahlungsunfähigkeit hatte. Dies verkehrt die bisher von der Rechtsprechung praktizierte Rechtslage in ihr Gegenteil.
  • Bei kongruenten Deckungen (bei denen ein Schuldner eine Leistung in der geschuldeten Art und Weise bei Fälligkeit erbringt) gilt künftig, dass die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners bei Vornahme der Rechtshandlung nur vermutet werden kann, wenn der Anfechtungsgegner Kenntnis der bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Vertragspartners hatte. Nach derzeitigem Recht gilt diese Vermutung bereits dann, wenn der Anfechtungsgegner Kenntnis von einer nur drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hat. Mit der Neuregelung werden die Anforderungen an die Darlegung des Insolvenzverwalters für eine Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Vertragspartners erheblich verschärft.
  • Der sog. Bargeschäftseinwand des § 142 InsO, wonach die Anfechtung bei unmittelbar gleichwertigem Leistungsaustausch ausgeschlossen ist, wird ausgeweitet. Zum einen wird zukünftig bei der Frage, was „unmittelbar“ bedeutet, berücksichtigt werden, was in der betreffenden Branche üblich ist. Zum anderen werden Lohnzahlungen an Arbeitnehmer umfassender als Bargeschäfte geschützt als bisher. Schließlich wird der Bargeschäftseinwand zukünftig auch die Vorsatzanfechtung ausschließen, wenn nicht ein unlauteres Verhalten vorliegt. Bisher galt die Bargeschäftsausnahme tatbestandlich nicht für die Vorsatzanfechtung und die Rechtsprechung hatte in Fällen von bargeschäftsähnlichem Leistungsaustausch in der Regel den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners verneint. Auch wenn die Praxis erst noch zeigen muss, was genau im Rahmen der Insolvenzanfechtung „unlauter“ ist, erhöht die Erweiterung des Anwendungsbereichs des Bargeschäfts jedenfalls die Rechtssicherheit.
  • Zu guter Letzt gelten für die Verzinsung von Anfechtungsansprüchen nun die allgemeinen Regeln (also erst ab Verzug oder Rechtshängigkeit). Die bisherige Verzinsung der Anfechtungsansprüche von der Insolvenzeröffnung an, hatte zu Fehlanreizen geführt, die nun beseitigt werden.
  • Nicht durchsetzen konnte sich der Vorschlag aus dem Regierungsentwurf, Leistungen, die im Rahmen der Zwangsvollstreckung erbracht werden, als kongruente Deckungen einzustufen und damit deren Anfechtung zu erschweren.

In Kraft treten und zeitliche Anwendung

Das Gesetz ist als sog. Einspruchsgesetz dem Bundesrat zugeleitet worden, der in der Sitzung am 10.03.2017 auf einen Einspruch verzichtet hat. Somit kann die Reform kurzfristig ausgefertigt werden und in Kraft treten. Das neue Recht wird dann auf alle Insolvenzverfahren anwendbar sein, die nach diesem Inkrafttreten eröffnet werden. Die neue Zinsregelung gilt sogar rückwirkend für bereits laufende Insolvenzverfahren.

Fazit und Ausblick

Die Neuregelungen sind zu begrüßen und werden voraussichtlich helfen, die Insolvenzanfechtung auf ein angemessenes Maß zu beschränken.

Insbesondere die Umkehr der Vermutungswirkung von Zahlungserleichterungen wird erhebliche Auswirkungen auf den Umgang mit „kriselnden“ Vertragspartnern im Geschäftsverkehr haben. Bisher galt, dass die Vereinbarung von Zahlungserleichterungen und insbesondere von Ratenzahlungen die Gefahr einer Insolvenzanfechtung drastisch erhöhte. Zukünftig ist das Gegenteil zu erwarten: Zahlungsvereinbarungen hinsichtlich aufgelaufener Posten können bei entsprechender Gestaltung nun sogar helfen, die Anfechtungsrisiken für den weiteren Leistungsaustausch mit dem betreffenden Kunden zu senken. Unternehmen sollten sich daher umfassend auf das neue Recht einstellen, um dessen Vorteile für sich zu nutzen und teure Anfechtungen zu vermeiden. Dazu gehört eine entsprechende Gestaltung der AGB ebenso wie eine Anpassung des hausinternen Controllings und Forderungsmanagements in Bezug auf die auf die neue Rechtslage.

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