Dr. Christoph Fingerle, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kann durch Betriebsvereinbarung eine Prämienzahlung für das Erreichen eines bestimmten Unternehmensergebnisses im Kalenderjahr davon abhängig gemacht werden, dass der Arbeitnehmer nicht vor einem bestimmten Zeitpunkt im Bezugsjahr aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet?

Das Arbeitsgericht hatte diese Frage bejaht; das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat sie verneint (Urteil vom 16.08.2017, 10 Sa 18/17). Die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht war erfolglos, sodass das Berufungsurteil rechtskräftig ist.

Sachverhalt

In einer Betriebsvereinbarung war eine Prämie als jährliche Sonderzahlung geregelt, die an das Erreichen bestimmter Ergebnisvorgaben geknüpft sein sollte. 

Hinsichtlich der Prämienvoraussetzung, -höhe und -berechnung regelte die Betriebsvereinbarung unter ihrem § 3, dass die Mitarbeitenden in Abhängigkeit von der Erreichung eines budgetierten Ergebnisses eine Prämie erhalten sollten. Bei 100 % Erreichungsgrad sollte die Prämie für Vollzeitmitarbeitende einheitlich 1.000 Euro, für Auszubildende/Studenten 400 Euro betragen. Bis zur Untergrenze des budgetierten Ergebnisses (-5 %) und der Höchstgrenze (+10 %) errechnete sich die Prämie entsprechend linear. Bei Teilzeitbeschäftigten errechnete sich die Höhe der Prämie anhand ihres Beschäftigungsgrades. Im Eintrittsjahr sollte die Prämie anteilig ausbezahlt werden.

Mitarbeitende, die das Unternehmen vor dem 30.11. des entsprechenden Kalenderjahres verlassen, sollten keinen Anspruch auf die Prämie haben.

Der klagende Mitarbeiter hatte sein Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung zum 15.11. des betreffenden Kalenderjahres beendet. Die beklagte Arbeitgeberin zahlte daraufhin keine Prämie.

Entscheidungsgründe

Das Berufungsgericht hat die klagabweisende Entscheidung erster Instanz abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von 10,5/12tel der Jahresprämie verurteilt.

Seine Entscheidung hat es damit begründet, dass die in § 3 Abs. 5 der Betriebsvereinbarung enthaltene Stichtagsklausel mit § 75 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BetrVG, § 611 BGB nicht vereinbar sei. Bei der Prämie handele es sich um eine Sonderzahlung, die sowohl der Vergütung erbrachter Arbeitsleistung als auch dem Anreiz zur Betriebstreue diene. Unabhängig davon, ob der Anspruch eines Arbeitnehmers, der vor dem 31. Dezember des Bezugsjahres ausscheidet, nur zeitanteilig entsteht, könne jedenfalls dieser Teil der erarbeiteten Prämie nicht unter die auflösende Bedingung gestellt werden, dass der Arbeitnehmer zu einem bestimmten Stichtag innerhalb des Bezugsjahres noch im Arbeitsverhältnis mit der Beklagten steht. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Betriebsparteien das Erreichen bzw. Überschreiten eines bestimmten Jahresumsatzes als Voraussetzung für den Prämienanspruch normiert hatten. Die besondere Bedeutung des Umsatzes im 4. Kalenderquartal für die Zielerreichung sei kein hinreichender Differenzierungsgrund. Dies stehe auch in Einklang mit der Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Dessen Urteil vom 06.05.2009 – 10 AZR 443/08 – sei durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 13.11.2013 – 10 AZR 848/12 – überholt. Die Rechtsprechung (des Bundesarbeitsgerichts) zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen sei auf Regelungen in Betriebsvereinbarungen zu übertragen, weil das Bundesarbeitsgericht dazu ausgeführt habe:

„Ein entsprechender Gestaltungsspielraum mag den Tarifvertragsparteien zustehen, nicht jedoch den Betriebsparteien oder dem Arbeitgeber im Rahmen einseitiger Gestaltungsmöglichkeiten in Allgemeinen Geschäftsbedingungen.
(BAG 13.11.2013 – 10 AZR 848/12 – Rn. 35).“

Die Betriebsvereinbarung sei damit teilweise – und zwar hinsichtlich der Stichtagsklausel – unwirksam. Der Kläger habe daher einen Anspruch auf Zahlung der Prämie, dies allerdings nur anteilig entsprechend der Bestandsdauer seines Arbeitsverhältnisses im Bezugsjahr.

Hinweise für die Praxis

Nachdem die Nichtzulassungsbeschwerde erfolglos war, hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg ersichtlich die Aussage des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 13.11.2013 zutreffend interpretiert. Bezüglich entsprechender Stichtagsklauseln haben die Tarifvertragsparteien einen weitergehenden Gestaltungsspielraum. Der Gestaltungsspielraum der Betriebsparteien ist jedoch ersichtlich gegenüber demjenigen des Arbeitgebers im Rahmen einseitig vorgegebener Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht erweitert. Betriebsvereinbarungen sind also hinsichtlich dieses Punktes ebenso zu behandeln wie AGBs.

  • Danach sind alle Sonderzahlungen, die nicht eindeutig ausschließlich der Förderung der Betriebstreue dienen, sondern die – wenn auch noch so untergeordnet – Vergütungscharakter haben, vollständig nach den Regelungen für Arbeitsvergütung zu behandeln.
  • Stichtagsklauseln – auch auf einen Zeitpunkt im Bezugszeitraum – sind damit auch durch Betriebsvereinbarung nicht rechtswirksam möglich.
  • Damit kommt bei Sonderzahlungen, die auf einen bestimmten Zeitraum bezogen sind, bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses innerhalb dieses Zeitraumes immer nur die zeitanteilige Berechnung und anteilige Reduzierung des Vollanspruches in Betracht. Vorsorglich sollte dies auch genauso in den Betriebsvereinbarungen festgelegt werden.

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