Dr. Stefan Lammel, Fachanwalt für GesellschaftsrechtDr. Ingo Reinke, Gesellschaftsrecht

Weiterlieferung von Energie nach Insolvenzeröffnung

Die weitere Belieferung mit Energie nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Abnehmers erfolgt grundsätzlich an die Insolvenzmasse, solange der Insolvenzverwalter die Erfüllung nicht ablehnt. Insbesondere entstehen in der Regel keine sog. Neuverbindlichkeiten, die natürliche Personen im Privatinsolvenzverfahren aus ihrem insolvenzfreien Vermögen zu begleichen haben. Die Realofferte durch Bereitstellen der Versorgungsleistungen richtet sich bei vermieteten Gebäuden entweder an den Verwalter oder an die Mieter.

Hintergrund

Ein Energieversorger hatte die Eigentümerin eines Gebäudes, das diese vollständig vermietet hatte, mit Strom und Gas beliefert. Nach Eröffnung eines Privatinsolvenzverfahrens über das Vermögen der Eigentümerin übernahm der Insolvenzverwalter (im Privatinsolvenzverfahren der „Treuhänder") die Verwaltung des Grundstücks und zog die Mieten einschließlich Nebenkostenvorauszahlungen ein. Der Energieversorger teilte hingegen der Eigentümerin durch eine Vertragsbestätigung gem. § 2 Strom- bzw. GasGVV mit, dass sie seit der Insolvenzeröffnung nunmehr im Rahmen der Grundversorgung Strom und Gas erhalte. Später lehnte der Verwalter die Erfüllung des Versorgungsvertrags ab und gab das Grundstück aus der Insolvenzmasse frei.

Das Urteil des BGH vom 25.02.2016, Az. IX ZR 146/15

Der BGH entschied, dass die Eigentümerin nicht verpflichtet ist, die Energielieferungen seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu bezahlen. Mit ihr bestand und besteht nach dem Urteil seit der Insolvenzeröffnung kein Versorgungsvertrag. Zwar sei es denkbar, dass bei natürlichen Personen im Insolvenzverfahren Neuverbindlichkeiten durch den Abschluss von Verträgen nach der Verfahrenseröffnung entstünden. Dies gilt aber nicht, wenn die Leistung aufgrund eines Altvertrags erbracht wird. Solange der Verwalter die Erfüllung nicht nach § 103 InsO ablehnt, sei der Vertrag als Rechtsgrund für die Lieferungen relevant, auch wenn später eine Erfüllungsablehnung erklärt werde. In dem fortgesetzten Bezug der Leistungen im Insolvenzverfahren könne sogar eine konkludente Erfüllungswahl oder das Angebot des Verwalters liegen, einen anderen (besseren) Vertrag abzuschließen. Jedenfalls entstünden Masseverbindlichkeiten in Höhe der durch die Energielieferung in der Masse eintretenden Bereicherung gem. § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Dementsprechend richte sich auch die in der Bereitstellung der Versorgungsleistung liegende Realofferte nach dem objektiven Empfängerhorizont nicht an die insolvente Eigentümerin, sondern an den Verwalter und/oder die Mieter.  

Anmerkung

Wird über das Vermögen eines Vertragspartners in einer Handelsbeziehung das Insolvenzverfahren eröffnet, ist eine sofortige Reaktion erforderlich, die alle rechtlichen Folgen der Insolvenzeröffnung im Einzelfall berücksichtigt. Je nach Vertragstyp gilt es, Sicherungsrechte zu realisieren und/oder zu vermeiden, dass Lieferungen an die Insolvenzmasse erfolgen, die am Ende nicht bezahlt werden. Zugleich sollten die Chancen abgewogen werden, mit dem (vorläufigen) Verwalter Vereinbarungen zu treffen, die eine sichere Fortführung der Belieferung ermöglichen. In jedem Fall aber sollte schnellstmöglich Klarheit über den Bestand des Vertrags und die Ausübung des Erfüllungswahlrechts durch den Verwalter herbeigeführt werden. Dies ist häufig nur durch eine Aufforderung zur Erfüllungswahl zu erreichen, da die Ausübung von Kündigungs- und anderen Beendigungsrechten oftmals an der Unzulässigkeit insolvenzbedingter Lösungsrechte nach § 119 InsO scheitert.

Der hier vorliegende besondere Fall der Energiebelieferung nach der Eröffnung eines Privatinsolvenzverfahrens ist für Energieversorger, ein nahezu alltägliches Geschäft. Dies umso mehr, wenn ihnen zugleich die Grundversorgung des Betreffenden obliegt. Energieversorger sollten für ihre Mitarbeiter in dieser Situationen entsprechende allgemeine Handlungsanweisungen vorhalten, die ausreichend differenziert verschiedene Konstellationen auseinanderhalten. Im vorliegenden Fall hätte die Aufforderung zur Erfüllungswahl an den Verwalter (der vermutlich abgelehnt hätte) und die anschließende Grundversorgungsbestätigung und Rechnungstellung an die Mieter zu einer eindeutigen Vertragslage führen können, die unabhängig von der Insolvenz der Eigentümerin gewesen wäre. Das Verhalten des Energieversorgers, das darauf abzielte sog. Neuverbindlichkeiten des Schuldners zu begründen, wäre hingegen das taktisch richtige Vorgehen gewesen, wenn es um die eigene Energieversorgung des Insolvenzschuldners gegangen wäre.

Kontakt > mehr