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Vergabepflichtige wesentliche Auftragsänderung auch durch Vergleich

Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern und Dritten, die auf der Grundlage des Unions-Vergaberechts abgeschlossen wurden, können während der Vertragslaufzeit grundsätzlich nicht wesentlich geändert werden, ohne dass der Auftrag im Rahmen eines Vergabeverfahrens neu ausgeschrieben werden muss. Das gilt im Rahmen des vor der Vergaberechtsreform geltenden Rechts auch dann, wenn bei der Vertragsdurchführung erhebliche Schwierigkeiten auftreten, ohne dass geklärt werden kann, wer für ihren Eintritt verantwortlich ist, und die Vertragsparteien sich im Wege eines Vergleichs einigen, um für beide Seiten voraussichtlich unverhältnismäßige Verlustrisiken abzuwenden. Das hat der EuGH im Wege seiner Vorabentscheidung vom 07.09.2016 (Az.: C-549/14) klargestellt. Aber auch nach der Reform des Vergaberechts sind wesentliche Änderungen des Vertrages nur in engen Grenzen möglich.

Der Fall

Im Jahr 2007 führte der dänische Staat ein Vergabeverfahren in der Form eines wettbewerblichen Dialogs durch, um ein einheitliches Kommunikationssystem für alle Notfalldienste sowie die mehrjährige Wartung dieses Systems zu erhalten. Im Zuge der Vertragsdurchführung kam es zu Problemen mit der fristgerechten Lieferung; die für die Ausschreibung zuständige Behörde und das beauftragte Unternehmen machten sich gegenseitig dafür verantwortlich, dass der Vertrag nicht wie vorgesehen erfüllt werden konnte. Um den Streit beizulegen, schlossen beide Seiten eine Vergleichsvereinbarung, nach der der Auftrag auf die Lieferung eines Teils des Kommunikationssystems beschränkt werden sollte. Außerdem sollte der dänische Staat von seinem Vertragspartner noch zwei zentrale Serverfarmen mieten.

Ein Wettbewerber des beauftragten Unternehmens wendete sich gegen den Vergleichsabschluss mit der Begründung, der Auftrag hätte neu ausgeschrieben werden müssen. Dies wurde zunächst abschlägig beschieden. Der Vergleich sei nicht aufgrund des Willens zur Neuverhandlung wesentlicher Auftragsbestandteile zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien abgeschlossen worden, sondern um einen zwischen ihnen entstandenen Streit beizulegen. Die Alternative sei ein Rücktritt vom Vertrag gewesen, da seine Erfüllung ausgeschlossen schien. Deshalb hätten beide Parteien wesentliche Zugeständnisse gemacht, um voraussichtlich unverhältnismäßige Verlustrisiken zu vermeiden.

Das Oberste Gericht Dänemarks hatte Zweifel, ob diese Auffassung mit Art. 2 der – auf den streitigen Vertrag anwendbaren – Richtlinie 2004/18/EG in Einklang stehe und legte die Frage dem EuGH vor.

Die Vorabentscheidung des EuGH vom 07.09.2016, Az. C-549/14

Der EuGH beantwortete die Frage abschlägig und entschied, dass auch in einer solchen Situation ein neues Vergabeverfahren durchgeführt werden muss.

Der EuGH stellt klar, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung und die daraus folgende Transparenzpflicht nach der Zuschlagserteilung solche Änderungen eines öffentlichen Auftrages verbieten, die zu einer wesentlichen Abweichung des geänderten Vertrages von den ursprünglichen Auftragsbestimmungen führen.

Gerade im Falle einer Verringerung des Auftragsgegenstandes könnte der Auftrag nämlich auch für weitere Wirtschaftsteilnehmer von Interesse sein, die den ursprünglichen Auftrag aufgrund seines Volumens nicht hätten erfüllen können. Diese wären von einem Zuschlag zum Auftrag ausgeschlossen gewesen. Eine wesentliche Auftragsänderung muss deshalb grundsätzlich zu einem neuen Vergabeverfahren über den so geänderten Auftrag führen.

Daran kann auch der Umstand nichts ändern, dass die wesentliche Änderung auf objektiven, mit unüberschaubaren Konsequenzen verbundenen Schwierigkeiten bei der Durchführung des Auftrags beruhte. Dem steht der Grundsatz der Gleichbehandlung zum Schutz aller potentiell an einem öffentlichen Auftrag interessierten Akteure entgegen.

Nur wenn in den Bestimmungen des ursprünglichen Auftrags selbst festgelegt ist, dass und wie der öffentliche Auftraggeber diese Bestimmungen ändern darf, dürfen auch wesentliche Änderungen ohne neues Vergabeverfahren vorgenommen werden.

Hinweise für die Praxis

Das Urteil des EuGH führt den Vertragsparteien öffentlicher Aufträge erneut vor Augen, dass wesentliche Änderungen des Auftrages nach dem bisherigen Unions-Vergaberecht nur in sehr eng begrenzten Fällen möglich waren. Die Möglichkeit zur Änderung des laufenden Vertrages bestand demnach nur, wenn sie bereits im zu vergebenden Auftrag angelegt war. Der Auftraggeber musste also von Anfang an Situationen vorhersehen, in denen eine Anpassung des Vertrages möglich werden könnte, diese benennen und ausdrücklich regeln, welche Folgen eintreten, wenn diese Voraussetzungen vorliegen. Ohne diese Regelungen wird der Auftraggeber selbst bei unvorhersehbaren, erheblichen Schwierigkeiten bis hin zur objektiven Unmöglichkeit der Auftragsdurchführung gezwungen, den Auftrag zu kündigen bzw. vom Vertrag zurückzutreten und ihn neu auszuschreiben.

Diesen Punkt der Rechtsprechung des EuGH setzt das neue Vergaberecht um. § 132 Abs. 1 GWB stellt nun gesetzlich klar, dass wesentliche Vertragsänderungen ein neues Vergabeverfahren zur Folge haben müssen. § 132 Abs. 2 und 3 GWB zeigen, unter welchen – eng umgrenzten – Ausnahmen kein neues Vergabeverfahren durchgeführt werden muss. Dazu gehören neben der entsprechenden Aufnahme von Ausnahmen in den Vertrag gerade auch unvorhersehbare Schwierigkeiten.

Grundsätzlich gilt aber: wesentliche Vertragsänderungen sind ohne neues Vergabeverfahren unzulässig. Deshalb muss sehr sorgfältig geprüft werden, ob die gesetzlich geregelten Ausnahmen im jeweiligen Fall tatsächlich greifen. Sonst legt z.B. ein Vergleich, der bei der Durchführung eines öffentlichen Auftrags geschlossen wird, um einen Streit zu beenden, diesen nicht bei, sondern führt zur nächsten Auseinandersetzung.

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