morton douglas markenrecht 3.jpg

EuGH erklärt deutsches Arzneimittelpreisrecht für europarechtswidrig

Der EuGH hat mit Urteil vom 19. Oktober 2016 das deutsche Arzneimittelpreisrecht für europarechtswidrig erklärt. Damit können nun im Ausland ansässige Versandapotheken uneingeschränkt Boni und Zugaben bei der Einlösung von Verschreibungen gewähren, während deutsche Apotheken sich formal weiter an das Preisrecht halten müssen.

Hintergrund

Gegenstand des Verfahrens war eine Vorlage des OLG Düsseldorf, in der zu prüfen war, ob eine Werbung des Deutschen Parkinsonverbandes für eine niederländische Versandapotheke, die ihren Kunden einen Einkaufsvorteil bei der Einlösung von Verschreibungen gewährte, rechtswidrig ist. Die klagende Wettbewerbszentrale hatte insoweit den Parkinsonverband auf Unterlassung in Anspruch genommen, da in Deutschland für verschreibungspflichtige Arzneimittel Festpreise gelten. Diese Festpreise sollen gewährleisten, dass eine flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln sichergestellt wird und die hierfür erforderliche Apothekendichte gerade in ländlichen Gebieten nicht durch einen ruinösen Preiswettbewerb gefährdet wird. Deutsche Gerichte hatten wiederholt diese Vorschrift und den damit verbundenen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Apotheken für verfassungskonform erklärt, da der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des nationalen Gesundheitssystems über einen weiten Einschätzungsspielraum verfügt. Ferner war wiederholt festgestellt worden, etwa durch den gemeinsamen obersten Senat der Bundesgerichte sowie auch das Bundesverfassungsgericht, dass diese Vorschriften auch auf ausländische Versandapotheken Anwendung finden.

Entscheidung (C-148/15)

Der EuGH sieht dies anders. In seinem Urteil führt der EuGH zunächst aus, warum es sich bei dem einheitlichen Preisrecht tatsächlich aus europarechtlicher Sicht um eine gesetzgeberische Maßnahme handelt, die ausländische Versandapotheken stärker – und damit ungleich – belastet im Verhältnis zu deutschen Präsenzapotheken. Hierzu führt der EuGH aus:

„Da Versandapotheken mit ihrem eingeschränkten Leistungsangebot eine solche Versorgung nicht angemessen ersetzen können, ist davon auszugehen, dass der Preiswettbewerb für sie ein wichtigerer Wettbewerbsfaktor sein kann als für traditionelle Apotheken, weil es von ihm abhängt, ob sie einen unmittelbaren Zugang zum deutschen Markt finden und auf diesem konkurrenzfähig bleiben.“

Sodann wird ausgeführt, der Preiswettbewerb könne für die in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Versandapotheken sogar das einzige Mittel sein, auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen. Im Rahmen der sich daran anschließenden Frage, ob diese Beschränkung des freien Warenverkehrs gerechtfertigt sei, wird sodann zunächst klargestellt, es obliege den nationalen Behörden, die dafür erforderlichen Beweise beizubringen. In der Folge führt das Gericht dezidiert aus, dass die von der deutschen Regierung und Wettbewerbszentrale vorgelegten Argumente nicht in einer Weise untermauert worden seien, die eine Beschränkung des freien Warenverkehrs rechtfertigen. Insgesamt sei nicht einmal im Ansatz begründet worden, dass ein Festpreissystem für die flächendeckende Versorgung erforderlich sei.

Anmerkung

Das Urteil erweckt den Eindruck, als sei dem EuGH das System der Arzneimittelversorgung nicht geläufig. So wird etwa ausgeführt, eine Aufhebung des einheitlichen Preises könne Anreiz zur Niederlassung von Apotheken in Gegenden sein, in denen wegen der geringeren Zahl an Apotheken höhere Preise verlangt werden können. Der EuGH schlägt also eine Übervorteilung der ländlichen Bevölkerung bei Arzneimittelpreisen vor, obgleich genau dies durch das Festpreissystem eigentlich verhindert werden soll. Ähnlich überraschend ist die Feststellung, dass es doch von Vorteil für die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln sei, wenn verschreibungspflichtige Arzneimittel zu günstigeren Preisen angeboten werden können, da hierdurch mehr Menschen Zugang zu den Arzneimitteln fänden. Offensichtlich ist dem EuGH nicht klar, dass es vorliegend allein um Arzneimittel geht, bei denen die gesetzliche Krankenversicherung die Kosten übernimmt und in Deutschland niemand aus diesen Gründen keinen Zugang zu Arzneimitteln hat.

Die Reichweite des Urteils kann im Moment noch nicht vollständig abgeschätzt werden. Denn zum einen gilt das Urteil nur für ausländische Anbieter, so dass formal deutsche Apotheken nach wie vor an das einheitliche Preisrecht gebunden sind. Auch haben die Aufsichtsbehörden angekündigt, ein Abweichen deutscher Apotheken vom Preisrecht mit allen Mitteln zu bekämpfen. Ob dies erfolgreich sein wird, dürfte fraglich sein, da durch die Aufhebung der Preisbindung für ausländische Versandapotheken sich die Frage stellt, ob das deutsche Preisrecht noch geeignet ist, das gesetzgeberische Ziel zu erreichen.

Darüber hinaus dürfte aber das Urteil auch Auswirkungen auf den Arzneimittelhandel insgesamt haben. So dient das Festpreissystem etwa als Grundlage für Verhandlungen zwischen den Krankenkassen und Arzneimittelherstellern über Rabatte. Auch der Großhandel ist mittelbar über dieses System gebunden. Wird nun das Festpreissystem aufgehoben, dürfte sich mittelfristig das Urteil auch auf die vorherigen Handelsstufen auswirken. Und auch die in Deutschland geltende Buchpreisbindung dürfte nach dieser Begründung nicht mehr haltbar sein.  

Im Anschluss an das Urteil wurde von verschiedener Seite ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gefordert. Ein derartiges Verbot dürfte jedoch kaum durchsetzbar sein. Zwar hat der EuGH ein Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel als Option bereits 2003 akzeptiert, jedoch dürfte es, nachdem der Versandhandel in Deutschland mehr als zwölf Jahre zulässig war, kaum noch möglich sein, mit einer Berufung auf den Gesundheitsschutz hier nachträglich ein Verbot zu rechtfertigen.

Unabhängig von den nicht überschaubaren Konsequenzen für den deutschen Apothekenmarkt ist das Urteil auch politisch kein gutes Signal. Denn ausweislich des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union obliegt die Ausgestaltung der Gesundheits- und Sozialversicherungssysteme den Nationalstaaten. Mit seiner Argumentation hat der EuGH diese Zuständigkeiten aber missachtet. Dies verwundert umso mehr, als er sich auch gegen sämtliche deutschen Obergerichte gestellt hat, ohne diese auch nur mit einem Wort zu erwähnen. Eine derartige Ignoranz gegenüber den Belangen der Mitgliedsstaaten stimmt in Zeiten zunehmender Europakritik nachdenklich.

Kontakt > mehr