Dr. Frank Jungfleisch, GesellschaftsrechtSebastian Hoegl, Gesellschaftsrecht

Bundesgerichtshof zu Netzsperren durch Telekommunikationsunternehmen

Mit Urteil vom 26.11.2015 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass Telekommunikationsunternehmen (oder: Internet Access Provider bzw. Internet Service Provider) unter engen Voraussetzungen dazu verpflichtet sein können, den Zugang zu Webseiten mit urheberrechtsverletzenden Inhalten zu sperren.

Hintergrund

Die Kläger in den beiden Verfahren waren Vertreter von Rechteinhabern an urheberrechtlich geschützten Werken. Die Beklagten waren Betreiber von Telekommunikationsnetzen. In dieser Eigenschaft ermöglichten sie es ihren Kunden auch, auf Webseiten mit Links zu urheberechtlich geschützten Werken zuzugreifen. Das Bereitstellen dieser Links durch die Betreiber der Webseiten war und ist nach den Feststellungen der Gerichte urheberechtswidrig. Die Inanspruchnahme der Betreiber der Webseiten war für die Kläger nicht möglich, da diese nicht zu ermitteln waren. Die Kläger verlangten daher von den Telekommunikationsunternehmen, für deren Kunden den Zugriff auf diese Webseiten durch Einrichtung von Netzsperren zu verhindern. Die mit den Klagen befassten Landgerichte und Oberlandesgerichte wiesen jeweils die Klage zurück.

Die Urteile des BGH, Az.: I ZR 3/14 und I ZR 174/14

Im Ergebnis wies auch der BGH die Revision der Kläger zurück. Dabei hat der BGH aber grundsätzlich - wenn auch unter sehr engen Voraussetzungen - eine Sperrpflicht der Telekommunikationsunternehmen bejaht. Nach Auffassung des BGH liegt in der Vermittlung des Zugangs zu Webseiten mit urheberrechtswidrigen Inhalten ein adäquat-kausaler Tatbeitrag der Telekommunikationsunternehmen zu den Rechtsverletzungen der Betreiber dieser Webseiten. Damit sind sie für den BGH als Störer zu betrachten. Vor der Inanspruchnahme der Telekommunikationsunternehmen als Störer gebiete aber eine umfassende Interessenabwägung, dass der Rechteinhaber zunächst zumutbare Anstrengungen zu unternehmen habe, um den tatsächlichen Täter oder aber auch denjenigen, der die Webseite hostet (der sogenannte „Host-Provider") zu ermitteln und selbst in Anspruch zu nehmen. Nach Auffassung des BGH gehört zu diesen zumutbaren Anstrengungen auch die Einschaltung von Detekteien oder staatlicher Ermittlungsbehörden. Da die Kläger genau dies nicht nachweisen konnten, wies der BGH die Revision zurück.

Anmerkung

Vorwegzuschicken ist, dass bislang lediglich die Pressemitteilungen zu den beiden Entscheidungen vorliegen. Nachdem das Berufungsurteil in einem der beiden Verfahren einen Umfang von 192 Seiten hatte, lässt sich vermuten, dass viele Rechtsfragen - wenn überhaupt - erst durch die ausführliche Urteilsbegründung des BGH beantwortet werden können.

Die gravierendsten Auswirkungen hat diese Entscheidung natürlich für Telekommunikationsunternehmen. Diese sind nach dem Urteil des BGH in der Pflicht, zumindest technische Möglichkeiten vorzuhalten, um den Zugang zu verhindern. Völlig unklar ist, welche technischen Vorkehrungen dies sein müssen und wie effektiv der Einsatz der Sperren sein muss. Der BGH hat offensichtlich erkannt, dass jedes System umgangen werden kann, lässt dies aber nicht als Argument gegen eine grundsätzliche Sperrpflicht gelten. Ausreichend sei bereits, dass der Zugriff erschwert wird.

Soweit der BGH in seiner Entscheidung zu einer nachgelagerten (oder auch „subsidiären") Haftung des Störers kommt, widerspricht er damit einer bislang vorherrschenden Systematik, bei der Täter und Störer nebeneinander hafteten. Er bewegt sich aber andererseits in seiner eigenen Tradition, die zu einer schrittweisen Aufweichung der Störerhaftung geführt hat. Ob der BGH diese Subsidiarität andererseits auf den konkreten Fall der Telekommunikationsanbieter beschränkt, bleibt abzuwarten.

Genauso bleibt abzuwarten, ob und in welchem Umfang die Erwägungen des BGH auf andere Konstellationen übertragen werden können. Offen ist insbesondere, ob sich die Sperrpflicht auf urheberrechtswidrige Inhalte beschränkt oder auch auf andere Inhalte - wie beispielweise Markenrechtsverletzungen oder Wettbewerbsverstöße - erstreckt. Dabei ist aber zu beachten, dass der BGH die Anforderungen an eine Sperrpflicht so hoch gesteckt hat, dass es nur in den wenigsten Fällen und mit erheblichem Aufwand gelingen wird, den notwendigen Nachweis zu erbringen.

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