Neue BGH-Entscheidung zu Ad-hoc-Mitteilungen von börsennotierten Gesellschaften

Entscheidungsprozesse in Unternehmen  ziehen sich oft über einen längeren Zeitraum hin. Das gilt auch für den Entschluss eines Vorstandsmitglieds, sich aus seinem Amt zu verabschieden - wie etwa im Fall von Jürgen Schrempp. Von der individuellen Entscheidung eines Vorstandsvorsitzenden, zurück treten zu wollen, bis zur Beschlussfassung der beteiligten Organe der Gesellschaft kann eine gewisse Zeit vergehen. Börsennotierte Gesellschaften haben in diesen Fällen frühzeitig zu prüfen, inwieweit die Aktionäre über den (beabsichtigten) Rücktritt öffentlich zu informieren sind. Nach Auffassung des BGH kann schon die Information des Aufsichtsratsvorsitzenden ad-hoc-pflichtig sein.


Erklärung der Absicht, zurück treten zu wollen

Die Mitteilung von Jürgen Schrempp gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden der DaimlerChrysler AG Mitte Mai 2005, er habe die Absicht, vor Ablauf der Amtszeit im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat aus dem Amt auszuscheiden, kann nach dem BGH (Beschluss vom 23.04.2013, Az. II ZB 7/09) eine Insiderinformation, die zu veröffentlichen war, darstellen. Indem Herr Schrempp diese Absicht dem Aufsichtsratsvorsitzenden mitteilte, war diese Absicht über seinen engen persönlichen Bereich (der z.B. aus den eigenen Überlegungen und dem Gespräch mit seiner Ehefrau bestand) hinausgelangt und eine präzise Information geschaffen worden. Die beabsichtigten, folgenden Zwischenschritte (z.B. die Zustimmung des Aufsichtsrates) und das beabsichtigte Ergebnis (der vorzeitige Wechsel des Vorstandsvorsitzenden) als künftige Umstände traten zwar erst deutlich später ein; dies ist jedoch nach Ansicht des BGH kein Grund dafür, die erste Absichtserklärung ohne weiteres geheim halten zu dürfen.

Das OLG Stuttgart wird jetzt zu ermitteln haben, ob die Mitteilung gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden im Fall ihres Bekanntwerdens geeignet war, den Börsenkurs erheblich zu beeinflussen („Kursrelevanz") und ob dementsprechend eine grds. zu veröffentlichende Insiderinformation vorlag.

Hinreichende Wahrscheinlichkeit künftiger Umstände

Die künftig eintretenden Umstände (z.B. die mögliche Zustimmung des Aufsichtsrates und der mögliche vorzeitige Wechsel des Vorstandsvorsitzenden) können ferner nach Ansicht des BGH ebenfalls bereits im Zeitpunkt der Absichtserklärung von Jürgen Schrempp Mitte Mai 2005 als Insiderinformation anzusehen sein. Voraussetzung ist, dass nach den allgemeinen Erfahrungen  (z.B. auf der Basis der Aufsichtsratssitzungen der Vergangenheit) eher mit dem Eintreten als mit dem Ausbleiben des jeweiligen künftigen Ereignisses zu rechnen ist.

Praxishinweis:  Befreiungsmöglichkeit sollte genutzt werden

Unternehmen können sich von der Pflicht, eine Ad-hoc-Mitteilung zu veröffentlichen, zeitweilig befreien (§ 15 Abs. 3 WpHG), sofern und solange es (neben weiteren Voraussetzungen) der Schutz ihrer berechtigten Interessen erfordert. Bei zeitlich gestreckten Sachverhalten, bei denen eine Vielzahl von Zwischenschritten jedes Mal  eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation darstellen kann, ist es daher der beste Weg, in allen Zweifelsfällen und soweit möglich von der Befreiungsmöglichkeit nach § 15 Abs. 3 WpHG Gebrauch zu machen. Gemäß § 6 WpAIV besteht ein berechtigtes Interesse z.B., wenn Verhandlungen geführt werden und die Veröffentlichung einer Insiderinformation diese Verhandlungen erheblich beeinträchtigen würden oder wenn für die Wirksamkeit einer Maßnahme die Zustimmung eines anderes Organs notwendig ist (wie im Fall der vorzeitigen Neubesetzung eines Vorstandspostens).

Dr. Hendrik Thies, Dr. Jan Henning Martens

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