OVG Sachsen stärkt Unabhängigkeit gemeindlicher Aufsichtsratsmitglieder und bestätigt Vorrang des Gesellschaftsrechts

Nach den Gemeindeordnungen der Bundesländer ist es den Gemeinden möglich, Unternehmen in Privatrechtsform - z.B. eine GmbH oder eine AG - zu errichten oder sich an ihnen zu beteiligen. Während sie in den Gesellschafterversammlungen regelmäßig durch den Bürgermeister und ggf. weitere Gemeinderatsmitglieder vertreten werden, dürfen sie zumeist auch in den Aufsichtsrat Mitglieder des Gemeinderates entsenden. Manche Gemeindeordnungen, wie die Bayerns oder Hessens, regeln ausdrücklich, inwieweit solche gemeindlichen Aufsichtsratsmitglieder an Weisungen des Gemeinderates gebunden sind. Für Bundesländer ohne eine entsprechende Regelung ist es umstritten, ob die Gemeinde den gemeindlichen Aufsichtsratsmitgliedern Richtlinien geben oder Weisungen erteilen darf. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht hat zu dieser Frage in einem Beschluss vom 03.07.2012, Az. 4  B 211/12, Stellung genommen und sie im Sinne der Weisungsunabhängigkeit der Gemeinderatsmitglieder beantwortet.

Der Fall

Vor dem Hintergrund eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hatte die antragstellende Gemeinde den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO durch das Verwaltungsgericht Chemnitz erwirkt. In dem Rechtsstreit ging es um die Gesetzmäßigkeit des Verfahrens bei der Wahl gemeindlicher Aufsichtsratsmitglieder nach § 98 Abs. 2 i.V.m. § 42 Abs. 2 SächsGemO. Dabei war auch fraglich, ob ein vom Gemeinderat in den Aufsichtsrat entsendetes Mitglied Weisungen des Gemeinderates unterliegt.

Der Gegner der Antragstellerin war mit dem Erlass der zu seinen Ungunsten ergangenen einstweiligen Anordnung nicht einverstanden. Er legte deshalb Beschwerde beim OVG Sachsen gegen die Entscheidung des VG Chemnitz ein.

Die Entscheidung

Das hielt die Beschwerde für begründet und wies den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurück. Dabei äußerte es sich auch zu der Frage, ob ein von einem Gemeinderat in den Aufsichtsrat eines Privatunternehmens entsendetes Mitglied den Weisungen seiner Gemeinderatsfraktion oder des Gemeinderats unterliegt.

Ein Weisungsrecht der jeweiligen Gemeinderatsfraktion schloss das OVG Sachsen aus (Beschluss vom 03.07.2012, Az. 4 B 211/12, -juris- Rn. 3). Sofern keine besonderen Regelungen im Gesellschaftsvertrag getroffen sind, handelten die gemeindlichen Aufsichtsratsmitglieder gem. § 52 Abs. 1 GmbHG i.V.m. §§ 116, 93, 111 Abs. 5 AktG persönlich, eigenverantwortlich und weisungsfrei. Die Gemeinde habe Kontroll- und Einwirkungspflichten bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch privatrechtliche Eigen- oder Beteiligungsgesellschaften. Diese Pflichten leiteten sich aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip sowie der Selbstverwaltungsgarantie des Grundgesetzes her. Allerdings führten diese Pflichten weder zu einer Modifizierung noch zu einer Suspendierung entgegenstehender Vorschriften des privaten Gesellschaftsrechts. Die Möglichkeiten kommunaler Kontrolle und Einflussnahme könnten nur im Rahmen des gesellschaftsrechtlichen Instrumentariums und damit unter Ausnutzung der dadurch gegebenen Möglichkeiten und Spielräume umgesetzt werden. Dies könne z.B. durch die inhaltliche Gestaltung von Satzungen und Gesellschaftsverträgen oder durch Organ- und Gesellschafterbeschlüsse geschehen (vgl. zum Ganzen OVG Sachsen, Beschluss vom 03.07.2012, Az. 4 B 211/12, a.a.O.).

Die Tätigkeit eines Gemeinderatsmitglieds als entsendetes Mitglied des Aufsichtsrats eines privatrechtlichen Unternehmens werde also in erster Linie durch gesellschaftsrechtliche Vorgaben geprägt. Die Verpflichtung von solchen Aufsichtsratsmitgliedern, Weisungen der sie entsendenden Gemeinde zu befolgen, werde durch die Vorgaben des Gesellschaftsrechts begrenzt (OVG Sachsen, Beschluss vom 03.07.2012, Az. 4 B 211/12, -juris- Rn. 4).

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung ist zu einer Frage ergangen, die ihren Ursprung im sächsischen Kommunalrecht hat. Allerdings hat sie über die Grenzen dieses Bundeslandes hinaus Bedeutung, weil sich die gleiche Fragestellung auch aus dem Kommunalrecht anderer Bundesländer ergibt. Soweit die Bundesländer keine Regelung haben, die den Vorrang des Gesellschaftsrechts und damit die Unabhängigkeit der entsendeten Aufsichtsratsmitglieder eindeutig festschreibt, wie z.B. die beiden bereits erwähnten Bundesländer Bayern und Hessen, besteht bei den von Gemeinden entsendeten Mitgliedern des Aufsichtsrats regelmäßig Unsicherheit darüber, ob sie Weisungen der Gemeinde zu ihrer Tätigkeit im Aufsichtsrat Folge leisten müssen. Umgekehrt sind Gemeinderäte bei dieser Gesetzeslage immer wieder versucht, auf die Tätigkeit der von ihnen in den Aufsichtsrat eines Privatunternehmens entsendeten Mitglieder Einfluss zu nehmen.

Mit seiner Entscheidung hat das OVG Sachsen unterstrichen, dass auch die von Gemeinden in einen Aufsichtsrat entsendeten Mitglieder in erster Linie die Interessen des Unternehmens wahrnehmen müssen und Weisungen, die den Unternehmensinteressen zuwiderlaufen, ignorieren dürfen. Es darf dabei angenommen werden, dass diese Weisungsfreiheit nicht nur für von der Gemeinde entsendete Gemeinderatsmitglieder gilt, sondern auch für den - aufgrund der dann noch stärker drohenden Loyalitätskonflikte unwahrscheinlichen - Fall, dass ein Gemeindebediensteter von der Gemeinde in den Aufsichtsrat eines privatrechtlich organisierten Eigen- oder Beteiligungsbetriebs entsendet wird.

Damit erfährt die vom Bundesgerichtshof vertretene Ansicht vom Vorrang des Gesellschaftsrechts (vgl. BGHZ 36, 296, (306)) eine weitere Bestätigung. Einer der Gründe für diesen Vorrang liegt im Rang der miteinander konkurrierenden Gesetze: Während die Regelungen zum Gesellschaftsrecht den Status von Bundesgesetzen innehaben, handelt es sich bei den jeweiligen Gemeindeordnungen bzw. vergleichbaren Gesetzen stets um Landesrecht. Nach Art. 31 GG genießt Bundesrecht jedoch Vorrang vor landesrechtlichen Regelungen.

Die Entscheidung des OVG Sachsen stellt auch klar, dass eine Gemeinde, die den von ihr entsendeten Aufsichtsratsmitgliedern Weisungen erteilen möchte, dies nur auf dem Wege des privaten Gesellschaftsrechts erreichen kann. Die Gemeinden sind also auch ohne besonderen gesetzlichen Auftrag gehalten, darauf hinzuwirken, dass ihnen über die Satzung oder den Gesellschaftsvertrag das Recht eingeräumt wird, den von ihnen entsendeten Mitgliedern des Aufsichtsrats Weisungen zu erteilen. Ohne diese gesellschaftsrechtlichen Regelungen steht den Gemeinden kein Weg zur Verfügung, einen gemeindlichen Aufsichtsrat im Wege einer Anweisung dazu zu verpflichten, seine Tätigkeit als Aufsichtsrat in einer bestimmten Art und Weise auszuüben.

Ob die Entscheidung des OVG Sachsen allerdings auch auf Vertreter der Gemeinde in der Gesellschafterversammlung bzw. dem ihr entsprechenden Organ des privatrechtlich organisierten Unternehmens übertragen werden kann, ist offen. Diese Vertreter dürfen zwar die Interessen der Gemeinden wahrnehmen. Sie sind aber durch das Gesellschaftsrecht auch dazu verpflichtet, die Interessen des Unternehmens wahrzunehmen. Ihre Entscheidungen haben zudem ggf. große finanzielle oder unternehmenspolitische Auswirkungen.

Einige Bundesländer, z.B. Baden-Württemberg, haben in ihren diesen Punkt betreffenden gesetzlichen Regelungen ausdrücklich ein Weisungsrecht der Gemeinden für diese Vertreter normiert. Hier besteht also weiterhin ein großes Konfliktpotential, das noch nicht endgültig aufgearbeitet worden ist. Dieser Konflikt wird besonders dann aktuell, wenn eine Weisung der Gemeinde mit zwingenden Bedürfnissen des Unternehmens kollidieren sollte.

Es empfiehlt sich für die Gemeinden daher, solche Konfliktsituationen schon von vornherein zu vermeiden oder ihre Lösung anzustreben. Dies geschieht am Einfachsten dadurch, dass die Satzungen bzw. Gesellschaftsverträge der Unternehmen ausdrücklich regeln, ob die Gemeinden ein Weisungsrecht für ihre in die Gesellschafterversammlung bzw. das ihr entsprechende Organ entsendeten Vertreter und/oder die gemeindlichen Aufsichtsratsmitglieder haben oder nicht.

Dr. Volker Stehlin, Peter Metzger

Kontakt > mehr