Die Übertragung von Urlaubsansprüchen kann bei langfristiger Erkrankung zeitlich begrenzt werden (EuGH, Urteil vom 22.11.2011, Az: C-214/10, und weitere Entscheidungen der Arbeitsgerichte)

Nach § 7 III BurlG verfällt ein Urlaubsanspruch, wenn der Arbeitnehmer diesen nicht spätestens drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres genommen hat, und zwar auch bei Krankheit des Arbeitnehmers. Der EuGH entschied grundlegend in der Sache Schultz-Hoff (20.01.2009, C-350/06), dass der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub weder zum Ende des Kalenderjahres noch zum Ende des Übertragungszeitraums verfällt, wenn der Arbeitnehmer diesen aufgrund einer Erkrankung nicht in Anspruch nehmen konnte. Wie lange und für wie viele Jahre bei einer langandauernden Erkrankung Urlaub angesammelt werden kann, war nicht Gegenstand der Entscheidung.

Der EuGH hatte aufgrund einer Vorlage des LAG Hamm nunmehr Gelegenheit, seine bisherige Rechtsprechung zur Übertragung von Urlaubsansprüchen bei langfristiger Erkrankung weiter zu entwickelt: Nach dem Urteil des EuGH vom 22.11.2011 fordert das Europarecht nicht, dass der Jahresurlaubsanspruch eines langfristig arbeitsunfähigen Arbeitnehmers zeitlich unbeschränkt bestehen muss, er kann vielmehr zeitlich beschränkt werden. Ein tariflich vereinbarter Übertragungszeitraum von 15 Monaten sei nicht zu beanstanden. Im entschiedenen Fall war der Kläger jahrelang arbeitsunfähig bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses erkrankt. Im Anschluss verlangte er Abgeltung von Urlaubsansprüchen für drei Jahre, die er wegen der Arbeitsunfähigkeit und der Beendigung nicht mehr nehmen konnte. Auf das Arbeitsverhältnis kam ein Tarifvertrag zur Anwendung. Eine Abgeltung des Urlaubs kam auch hiernach nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht, für den Fall der Krankheit war ausdrücklich eine Übertragungsfrist von 15 Monaten nach Ende des Bezugszeitraums vorgesehen.

Nach Ansicht des EuGH muss ein über mehrere Jahre arbeitsunfähiger Arbeitnehmer Urlaubsansprüche nicht unbegrenzt ansammeln können. Dies widerspreche dem Zweck des Jahresurlaubs, der eine doppelte Funktion habe, Erholung und Freizeit. Jedenfalls die positive Wirkung der Erholung entfalle, wenn die Übertragung des Anspruchs eine gewisse zeitliche Grenze überschreite. Es sei erforderlich, dass der Übertragungszeitraum die Dauer des Bezugszeitraums deutlich überschreite, für den er gewährt werde. Ein Übertragungszeitraum von 15 Monaten nach Ablauf des Bezugszeitraums werde nach Ansicht des EuGH dabei dem Erholungszweck gerecht.

Offen blieb damit die wichtige Frage was gilt, wenn es keine Regelung zum Übertragungszeitraum gibt.

Praxishinweis und Folgen

Das wichtige Urteil des EuGH, über das wir bereits berichtet hatten, wurde mit Spannung erwartet, da viele vergleichbare Klagen bei Arbeitsgerichten anhängig sind. Das Urteil und die Begründung sind zu begrüßen, steht doch zumindest nun fest, dass es Begrenzungen geben kann. Die wichtige Frage, ob die im Urteil genannte Frist von 15 Monaten auch dann gilt, wenn es keine ausdrückliche Regelung hierzu gibt, blieb aber unbeantwortet. Hierzu liegen zwischenzeitlich außer der Entscheidung des LAG Baden-Württemberg vom 21.12.2011, über die wir auf Basis einer Presseerklärung auch bereits berichtet hatten, weitere Entscheidungen vor; ein klares Bild zeigt sich aber nicht:

Das BAG hätte zwar bereits am 13.12.2011 (9 AZR 399/10) die Frage entscheiden können. Es kam hierauf aber aus anderen Gründen (leider) nicht entscheidungserheblich an. Das BAG hat gleichwohl darüber nachgedacht, ob nicht der Wille des Gesetzgebers, der nur einen kurzen Übertragungszeitraum in § 7 III BurlG von 3 Monaten festgelegt hat, dazu führen müsse, dass der Urlaub nach der kürzesten Frist, die europarechtlich zulässig sei, verfalle. Das BAG meldete aber Bedenken an, ob die Festlegung eines solchen Zeitraums den Gerichten für Arbeitssachen mit Blick auf die Gewaltenteilung überhaupt zufalle - eine Entscheidung des BAG liegt somit noch nicht vor.

Das LAG Baden-Württemberg ist nach den zwischenzeitlich vorliegenden Urteilsgründen mit Entscheidung vom 21.12.2011 (10 Sa 19/11) davon ausgegangen, dass der deutsche Gesetzgeber grundsätzlich von einer Begrenzung des Übertragungszeitraums ausgegangen sei. Im Wege der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung hält es dieses Gericht für angemessen, die vom EuGH akzeptierte Grenze von 15 Monaten in § 7 III BurlG hineinzulesen, so dass die Frist von 15 Monate auch dann gelten solle, wenn es keine andere (ausdrückliche) Regelung hierzu gebe.

Das LAG Hamm legt mit Urteil vom 12.01.2012 (16 Sa 1352/11) § 7 III BurlG ebenfalls eu-roparechtskonform aus. Das Gebot richtlinienkonformer Auslegung seiie aber auch hin-sichtlich der Dauer des Übertragungszeitraums zu beachten. Art. 9 I IAO des Überein-kommen Nr. 132 habe Bedeutung auch für das gesamte innerstaatliche Recht der BRD, auch wenn diese Regelung nicht unmittelbar in Deutschland gelte. Das Übereinkommen sei aber in der europäischen Richtlinie 2003/88/EG als Erwägungsgrund genannt. Die in Art. 9 I IAO Übereinkommen Nr. 132 auch genannte Frist von 18 Monaten sei deshalb zu berücksichtigen.

Das ArbG Bonn hielt sich am 18.01.2012 (5 Ca 2499/11) hingegen entgegen der Rechtsprechung des LAG Baden-Württemberg nicht für befugt, ohne gesetzliche Grundlage von der Existenz eines starren Übertragungszeitraums von 15 Monaten auszugehen. Mit diesem Einwand greift es einen Gesichtspunkt auf, den das BAG auch in seiner Entscheidung vom 13.12.2011 bereits genannt hatte: Dürfen die Gerichte die Dauer eines Übertragungszeitraums überhaupt festlegen oder ist hierzu nicht nur der Gesetzgeber zuständig?

Das LAG Düsseldorf hat mit Urteil vom 23.02.2012 (5 Sa 1370/11) nur sehr kurz und ohne vertiefte Prüfung festgestellt, dass § 7 III BurlG nicht ausgelegt werden könne und damit auch keinen zu beachtenden Übertragungszeitraum von 15 Monaten enthalte.

Was folgt: Es bleibt trotz der neuen Entscheidung des EuGH eine hohe Rechtsunsicherheit. Wir wissen derzeit sicher nur, dass eine Beschränkung des Abgeltungsanspruchs grundsätzlich europarechtlich möglich ist und eine (vorhandene) tarifliche Regelung mit einem Übertragungszeitraums von 15 Monaten nicht europarechtswidrig ist. Ob sich das BAG aber der dem Ausgangspunkt der Entscheidungen des LAG Baden-Württemberg und des LAG Hamm anschließen wird, dass eine europarechtskonforme Auslegung möglich ist, mit welchem Zeitraum auch immer, ist derzeit offen. Gegen die Urteile des LAG Baden-Württemberg und des LAG Hamm ist bereits Revision eingelegt worden (9 AZR 225/12 und 9 AZR 232/12). Es bleibt zu hoffen, dass das BAG seine mit Entscheidung vom 13.12.2011 geäußerten Bedenken nicht aufrechterhält. Dass der Gesetzgeber kurzfristig tätig wird, ist unwahrscheinlich. Bis zur Entscheidung des BAG haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer je nach gewünschtem Ziel die Möglichkeit, sich auf eine der derzeit vorhandenen Entscheidungen vorläufig zu berufen.

Dr. Stefan Daub

Kontakt > mehr