Die internationale Handelskammer (ICC in Paris) hat ihre seit 1998 gültige Schiedsgerichtsordnung reformiert, um die Effizienz von Schiedsverfahren zu steigern. Die neuen Regeln sind am 1. Januar in Kraft getreten. Eine interessante Neuerung ist die Einführung des sog. Emergency Arbitrator, der einen umfassenden Eilrechtsschutz innerhalb eines Schiedsverfahrens ermöglichen soll.

Der Emergency Arbitrator als „opt-out"-Modell

Der Eilschiedsrichter („Emergency Arbitrator") kann bereits vor der Bestellung des für die Hauptsache zuständigen Schiedsgerichts vorläufige oder sichernde Maßnahmen anordnen. Während die Bestellung des Schiedsgerichts regelmäßig mehrere Wochen, mitunter auch Monate dauert, muss der Eilschiedsrichter innerhalb von zwei Tagen von dem ICC-Schiedsgerichtshof ernannt werden. Nach Erhalt der Verfahrensakte hat der Eilschiedsrichter dann innerhalb von 15 Tagen über den Eilantrag zu entscheiden.

Das neue Eilschiedsrichterverfahren ist nicht zwingend, sondern kann von den Parteien vertraglich ausgeschlossen werden („opt out"). Aus diesem Grund gelten die Regeln des Eilschiedsrichterverfahrens ausnahmsweise nicht für alle neuen ICC-Schiedsverfahren, sondern nur für solche Verfahren, die auf Schiedsklauseln beruhen, die nach dem 31.12.2011 abgeschlossen werden. Dadurch können die Parteien künftig bei Abschluss einer ICC-Schiedsklausel frei entscheiden, ob sie den Emergency Arbitrator im Streitfall nutzen wollen oder nicht. In Schiedsverfahren, die aufgrund einer „alten" ICC-Schiedsklausel eingeleitet werden, kann der Emergency Arbitrator somit noch nicht zum Einsatz kommen. Erste praktische Erfahrungen mit dem Eilschiedsrichterverfahren werden also voraussichtlich erst in ca. zwei bis drei Jahren vorliegen, wenn die ersten Streitigkeiten aus den neu abgeschlossenen Verträgen entstehen.

Emergency Arbitrator erweitert Rechtsschutzmöglichkeiten der Parteien

Die Einführung des „Emergency Arbitrator" ist grundsätzlich zu begrüßen, da die Rechtsschutzmöglichkeiten der Parteien dadurch erweitert werden. Denn in dringenden Fällen haben die Parteien eines ICC-Schiedsverfahrens künftig bereits vor der Bestellung des Schiedsgerichts die Wahl zwischen dem Eilschiedsrichterverfahren und einem staatsgerichtlichen Eilverfahren, das grundsätzlich auch bei einer Schiedsabrede möglich ist.

Inwiefern die Praxis den ICC-Emergency Arbitrator tatsächlich nutzen wird, bleibt abzuwarten. Auch in Zukunft wird in vielen Fällen der staatliche Eilrechtsschutz vorzuziehen sein. Die deutschen Gerichte können Eilmaßnahmen sehr schnell, mitunter sogar innerhalb eines Tages oder weniger Stunden, erlassen. Zudem sind die staatlichen Gerichte im Gegensatz zu einem privaten Schiedsrichter befugt, Eilmaßnahmen ohne vorherige Anhörung der Gegenseite zu erlassen. Dieser Überraschungseffekt ist häufig wichtig für den Erfolg einer Eilmaßnahme, so etwa beim „Einfrieren" von Konten oder der Beschlagnahme von anderen Vermögensgütern des Prozessgegners.

Das Eilschiedsrichterverfahren der ICC kann dagegen hilfreich sein, wenn Eilmaßnahmen in Staaten erforderlich werden, deren nationales Justizsystem keinen wirksamen effektiven Rechtsschutz bietet. Daher wird jeweils von Fall zu Fall sorgfältig abzuwägen sein, ob staatsgerichtliche oder schiedsgerichtliche Eilmaßnahmen beantragt werden sollten. Um im Streitfall das ICC-Eilschiedsrichterverfahren nutzen zu können, sollte daher beim Abschluss einer ICC-Schiedsklausel nur in wohlüberlegten Ausnahmefällen von der „opt out"-Möglichkeit Gebrauch gemacht werden.

Ben Steinbrück

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