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Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte bereits am 01.07.1997 (5 AZR 726/96) entschieden, in einem Arbeitsvertrag könne wirksam vereinbart werden, dass der Arbeitnehmer eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den ersten Tag einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit beibringen müsse. Das BAG hat in einer Pressemitteilung vom 14.11.2012 (5 AZR 886/11) nunmehr mitgeteilt, dass der Arbeitgeber auch aufgrund von § 5 Abs. 1 Satz 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) berechtigt sei, von einem Arbeitnehmer die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer schon von dem ersten Tag der Erkrankung an zu verlangen, und dabei stehe die Ausübung dieses Rechts nicht in einem an besondere Voraussetzungen gebundenen Ermessen des Arbeitgebers.
 
Der neuen Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem eine Redakteurin für den 30.11.2010 einen Dienstreiseantrag gestellt hatte, den ihr Vorgesetzter ablehnte. Die nochmalige Anfrage am 29.11.2010 beschied der Vorgesetzte erneut abschlägig. Am 30.11.2010 meldete sich die Klägerin krank und erschien bereits am 31.11.2010 wieder zur Arbeit. Dies nahm der Arbeitgeber wohl zum Anlass, die Mitarbeiterin aufzufordern, künftig schon am ersten Tag der Krankmeldung einen Arzt aufzusuchen und ein Attest vorzulegen. Die Mitarbeiterin klagte hiergegen und meinte, das Verlangen des Arbeitgebers auf Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits für den ersten Tag der Erkrankung bedürfe einer sachlichen Rechtfertigung, zudem sehe der im entschiedenen Fall zur Anwendung kommende Tarifvertrag ein derartiges Recht nicht vor. Die Klage der Arbeitnehmerin blieb in allen Instanzen erfolglos.
 
Das BAG hielt es insbesondere nicht für erforderlich, dass gegen die Arbeitnehmerin ein begründeter Verdacht besteht, sie habe in der Vergangenheit eine Erkrankung nur vorgetäuscht. Aus der Pressemitteilung kann nicht entnommen werden, ob das Gericht auch geprüft hat, wovon aber auszugehen ist, dass eine ermessensfehlerfreie Entscheidung des Arbeitgebers vorliegen muss und die Weisung zudem auch nicht schikanös oder willkürlich sein darf - diese Punkte hatte das BAG bereits in seiner Entscheidung im Jahr 1997 angesprochen.
 
Wichtig ist noch eine weitere Aussage des Gerichts: Obwohl die tarifliche Regelung das sich aus dem Gesetz ergebende Recht nicht enthielt, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits vorzeitig zu verlangen, ging das BAG davon aus, dass die gesetzliche Regelung gleichwohl zur Anwendung gelangt, weil die tarifliche Regelung das gesetzliche Recht des Arbeitgebers auf Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht ausdrücklich ausgeschlossen hatte.
 
Auch wenn die Entscheidung an einer Stelle Klarheit bringt, sollte ein Arbeitgeber in diesem Zusammenhang u.a. beachten:

1. Trotz der Entscheidung sollte genau überlegen werden, ob es sinnvoll ist, in einen Arbeitsvertrag von den gesetzlichen Regelungen im EFZG abweichende Regelungen aufzunehmen. Die detaillierten gesetzlichen Regelungen können in einem Arbeitsvertrag bereits nicht zuungunsten des Arbeitnehmers geändert werden. Abweichungen von gesetzlichen Regelung können allerdings je nach Formulierung des Arbeitsvertrages die Frage aufwerfen, ob hiermit ein gesetzlich bestehendes Recht des Arbeitgebers evtl. abbedungen wird.

2. Der Gesetzgeber wollte im Interesse der Krankenkassen (Stichwort: Kostenersparnis) nicht, dass die Arbeitnehmer zwingend in den ersten drei Kalendertage der Erkrankung einen Arzt aufsuchen müssen, auch wenn sie das dürfen. Das Interesse des Arbeitgebers, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits für den ersten Tag der Erkrankung zu erhalten, hielt der Gesetzgeber gleichrangig zu den Interessen der Krankenkassen. Wenn ein Arbeitgeber von seinem Recht Gebrauch macht und verlangt, bereits am ersten Tag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen, so muss der Arbeitnehmer den Arzt aufsuchen mit der Folge, dass dann der Arzt entscheidet, wie lange der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist. Nicht auszuschließen ist, dass ein Arbeitnehmer länger krank geschrieben wird, als wenn er einen Arzt nicht hätte aufsuchen müssen.

3. Eine Weisung, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung früher als nach Gesetz vorgesehen vorzulegen, kann in Betrieben mit einem Betriebsrat mitbestimmungspflichtig sein (vgl. § 87 Satz 1 Ziff. 1 BetrVG - Ordnungsverhalten der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer), wenn es sich nicht nur um einen Einzelfall handelt. Kein Einzelfall, sondern ein sog. kollektiver Tatbestand liegt vor, wenn sich eine Regelungsfrage stellt, die über eine ausschließlich einzelfallbezogene Rechtsausübung hinausgeht und kollektive Interessen der Arbeitnehmer des Betriebs berührt. Eine zwar individualrechtlich zulässige Maßnahme (vgl. oben) kann dann gleichwohl unwirksam sein, sogar ohne dass eine Rücknahme der Weisung nötig wäre. Ein Betriebsrat könnte evtl. auch einen Unterlassungsanspruch geltend machen (vgl. hierzu z.B. LAG Berlin-Brandenburg 19.06.2012, 3 TaBV 2149/11; grundlegend BAG 25.01.2000, 1 ABR 3/99).
 
Dr. Stefan Daub

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