Dr. Stefan Lammel, Fachanwalt für GesellschaftsrechtDr. Ingo Reinke, Gesellschaftsrecht

BGH zur Anerkennung ausländischer Insolvenzentscheidungen

Einer im EU-Ausland erteilten Restschuldbefreiung kann der Einwand, der Schuldner habe die Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts durch Täuschung erschlichen, in Deutschland nicht entgegengehalten werden. Die Entscheidungen des ausländischen Insolvenzgerichts muss der Gläubiger im Rahmen des ausländischen Insolvenzverfahrens angreifen.

Hintergrund

Der Beklagte schuldete der klagenden Bank 1,4 Mio. Euro aus einer Bürgschaft. Gegen die Klage der Bank wandte der Beklagte ein, dass seine Bürgenschuld nicht (mehr) bestehe. Er habe den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen zwischenzeitlich nach England verlegt und dort ein Insolvenzverfahren durchlaufen. Tatsächlich war dort im August 2011 ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten eröffnet und dem Beklagten im August 2012 die Restschuldbefreiung erteilt worden.

Die Klägerin machte geltend, der Beklagte habe den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen nie nach England verlegt, sondern dies nur vorgetäuscht. In Wahrheit habe er durchgehend in Deutschland gelebt. Eine solchermaßen durch Täuschung erlangte englische Restschuldbefreiung sei rechtsmissbräuchlich und könne von deutschen Gerichten nicht anerkannt werden.

Das Urteil des BGH vom 10.09.2015, Az.: IX ZR 304/13

Anders als noch das OLG Köln, hält der BGH die Restschuldbefreiung im englischen Insolvenzverfahren für rechtmäßig. Wenn das ausländische Gericht die dortige Zuständigkeit anerkenne, können Gläubiger die hiergegen im dortigen Verfahren möglichen Rechtsbehelfe ergreifen. Nur wenn dies nicht möglich wäre, käme die Nichtanerkennung durch Deutsche Gerichte aufgrund des sog. Ordre public Vorbehalts in Betracht. Nach der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) sei die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in einem EU-Mitgliedstaat für die Gerichte der anderen EU-Mitgliedstaaten anzuerkennen.

Auch in Fällen von sog. „Insolvenztourismus", d.h. wenn ein Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen allein zur Erlangung der Restschuldbefreiung in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, ist allein das dortige Insolvenzgericht berufen, dies anzuerkennen oder nicht.
Darüber hinaus stellt der BGH klar, dass deutsche Gerichte die Verfahrenseröffnung durch das ausländische Gericht selbst dann anerkennen müssen, wenn sie tatsächlich durch Täuschung erschlichen worden ist. Denn die Anwendung des Ordre public Vorbehalts müsse auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt bleiben. Die Nichtanerkennung sei aber nur dann unbedingt notwendig, wenn betroffenen Gläubigern im Eröffnungsstaat kein ausreichender Rechtsschutz gegen die Eröffnungsentscheidung zusteht.

Anmerkung

Mit der Entscheidung wird der allgemeine Ordre public Vorbehalt des internationalen Privatrechts auf seinen Kern als absolute Ausnahmevorschrift zur Vermeidung unbilliger Härten zurückgeführt.

Die Entscheidung hat über die Verbraucherinsolvenz hinaus auch Bedeutung für Unternehmen, insbesondere dafür, ob eine grenzüberschreitende Sitzverlegung zur Vorbereitung eines Insolvenzverfahrens (sog. „forum shopping") zulässig ist. Obwohl der EU-Verordnungsgeber bereits Änderungen der EuInsVO zum 26.06.2017 verabschiedet hat, die das forum shopping einschränken sollen, ein „forum shopping" in vielen Fällen (jedenfalls faktisch) möglich bleiben. Ist das Insolvenzverfahren im Ausland aber einmal eröffnet, so ist nach dem Urteil des BGH nunmehr klar, dass Gläubiger eines solchen Unternehmens ihre Einwendungen gegen das Verfahren im Staat der Verfahrenseröffnung geltend machen müssen. Gläubiger müssen also im Rahmen des ausländischen Insolvenzverfahren Rechtsmittel gegen die Eröffnungsentscheidung mit der Begründung geltend machen, der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners sei nicht im dortigen Staat – das Insolvenzgericht also gem. EUInsVO nicht zuständig.
Um überhaupt rechtzeitig Kenntnis von einem Insolvenzverfahren eines Schuldners im Ausland zu erlangen, wäre es erforderlich, eine europaweite Datenbank einzurichten, in der (wie in Deutschland unter „insolvenzbekanntmachungen.de“) alle Insolvenzverfahren veröffentlicht werden. Eine solche Datenbank ist geplant, bislang aber noch nicht eingerichtet. Derzeit ist nur eine vorläufige Version auf der Seite des Europäischen Justizportals verfügbar, die zumindest die Insolvenzregister einiger weniger Mitgliedstaaten in einer Suche zusammenführt.
Ein Mittel, sich vor dem „forum shopping" des eigenen Vertragspartners zu schützen, könnte auch in einer vertraglichen Mitteilungspflicht im Falle der Verlegung der hauptsächlichen Interessen liegen. Eine Verpflichtung, eine solche Verlegung zu unterlassen, dürfte hingegen kaum mit europäischem Recht vereinbar sein.

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