Gerhard Manz, GesellschaftsrechtDr. Barbara Mayer, Fachanwältin für Handels- und Gesellschaftsrecht

Sind ausländische Arbeitnehmer bei der Mitbestimmung einzurechnen?

Deutsche Unternehmen unterliegen ab 500 Arbeitnehmern dem Drittelbeteiligungsgesetz, ab 2000 Arbeitnehmern dem Mitbestimmungsgesetz. Nach Ansicht des LG Frankfurt sind für die Anwendung des Mitbestimmungsgesetzes nicht nur die Arbeitnehmer der deutschen, sondern auch der ausländischen Tochterunternehmen einzurechnen.

Hintergrund

Das LG Frankfurt stellte in einem Statusverfahren zur Besetzung des Aufsichtsrates gegen die Deutsche Börse AG fest, dass deren Aufsichtsrat falsch zusammengesetzt sei. Der Aufsichtsrat habe nach den Regeln nicht des Drittelbeteiligungsgesetzes (DrittelbG), sondern des Mitbestimmungsgesetzes (MitbestG) gebildet werden müssen. Nach dem MitbestG müsse aber die Hälfte der Aufsichtsräte von den Arbeitnehmern gestellt werden. Dem Konzern seien bei der Ermittlung der maßgeblichen Schwellenwerte die Arbeitnehmer seiner ausländischen Tochterunternehmen zuzurechnen. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

Die Praxis ging bislang im Einklang mit der herrschenden Meinung in der Literatur davon aus, dass dabei nur inländische Unternehmen berücksichtigt werden können.  Aus diesem Grund wurde der Aufsichtsrat der Deutschen Börse AG, die nur unter Berücksichtigung ihrer ausländischen Töchter mehr als 2000 Arbeitnehmer beschäftigt, nach den Regeln des DrittelbG gebildet.

Das Urteil LG Frankfurt vom 16.02.2015, Az. 3-16 O 1/14

Nach Ansicht des Gerichts spricht der Wortlaut des MitbestG für eine Einbeziehung der ausländischen Tochterunternehmen. Eine Beschränkung auf rein deutsche Unternehmen sei dem Willen des historischen Gesetzgebers nicht zu entnehmen. Das MitbestG verweise vielmehr auf den Konzernbegriff des Aktiengesetzes (§ 18 Abs. 1 AktG), der zweifellos auch ausländische Konzernunternehmen erfasse. Eine Beschränkung auf inländische Töchter verstoße auch gegen das EU-Diskriminierungsverbot und führe zu Wettbewerbsverzerrungen.

Praxishinweis

Der Mitbestimmung unterliegen Unternehmen in der Rechtsform der AG, KGaA, GmbH oder der Genossenschaft. Teilweise versuchen Unternehmen eine Mitbestimmung daher durch die Rechtsform der Ltd. & Co. KG, BV & Co. KG etc. zu vermeiden. Wenn sich die Ansicht des LG Frankfurt in der Rechtsprechung durchsetzt, müssten sich insbesondere mittelständische AG, KGaA und GmbH auf Statusverfahren und eine Änderung der Aufsichtsräte oder deren Neueinführung vorbereiten. Im Hinblick auf die im MitbestG vorgesehenen Schwellenwerte für die Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder können auch größere Unternehmen gezwungen sein, ihren Aufsichtsrat umzubilden. Für das DrittelbG ergeben sich jedoch keine Änderungen, da dort Tochterunternehmen nur bei Bestehen eines Beherrschungsvertrages mit eingerechnet werden (und solch ein Vertrag regelmäßig nur mit Gesellschaften mit Sitz in Deutschland abgeschlossen wird).

Die Entscheidung des LG verdeutlicht außerdem den Unterschied zur Europäischen Aktiengesellschaft (SE). Bei der SE gelten die Mitbestimmungsregelungen des DrittelbG und des MitbestG nicht, sondern zunächst soll die Mitbestimmung mit den Arbeitnehmern ausgehandelt werden. Einigen sich die Parteien nicht, gilt der höchste Mitbestimmungsstandard der bei der Gründung der SE beteiligten Gesellschaften. Spätere Änderungen bleiben jedoch im Regelfall unberücksichtigt, so dass die Mitbestimmung gewissermaßen „zementiert" wird. Änderungen werden nur berücksichtigt, wenn es sich um einen Missbrauch der Rechtsform handelt oder sich die Struktur der Gesellschaft ändert, bspw. durch Aufnahme eines mitbestimmten Unternehmens. Organisch gewachsene SE könnten aber wohl die Mitbestimmung bei Erreichen der Schwellenwerte des DrittelbG und des MitbestG umgehen, Einzelheiten sind jedoch noch nicht endgültig geklärt. Jedenfalls bestehende SE dürfte diese Entscheidung nicht berühren, da hierdurch keine „strukturelle Änderung" der Gesellschaft entsteht.

Ob das aller Voraussicht nach angerufene Beschwerdegericht die Entscheidung des LG Frankfurt angesichts dieser Folgen halten wird, ist zweifelhaft. Die hauptsächlich auf den Wortlaut verweisende Argumentation des LG fällt ausgesprochen dünn aus. Unerörtert bleibt, warum eine Nichtzurechnung gegen das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot verstoßen sollte. Schließlich setzt sich das Urteil dem Argument der Gegenauffassung inhaltlich überhaupt nicht auseinander.

Gleichwohl sollten sämtliche Konzerne mit ausländischen Unternehmen und stark expandierende Mittelständler das weitere Verfahren im Blick behalten und sich bereits jetzt mit möglichen Folgen befassen.

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