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Das Europäische Gericht verbessert Beweislage bei kartellrechtlichen Schadensersatzklagen

Das Europäische Gericht hatte Ende 2012 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes der EU-Kommission verboten, eine erweiterte nichtvertrauliche Version einer Bußgeldentscheidung aus dem Jahre 2006 zu veröffentlichen, in der nützliche Informationen für mögliche Schadensersatzkläger enthalten waren. In seinem Urteil in der Hauptsache vom 28.01.2015 (Az.: T-341/12 und T-345/12) nimmt das Europäische Gericht nun einen anderen Standpunkt ein. Äußerste Grenze beim Auswahlermessen der EU-Kommission im Zusammenhang mit der Veröffentlichung eigener Bußgeldentscheidungen ist der Schutz des Berufsgeheimnisses der Kartellanten; im Rahmen von Kronzeugenanträgen freiwillig übermittelte Informationen sind dabei nicht per se von der Veröffentlichung ausgeschlossen. Durch die Entscheidung wird die Position von Schadensersatzklägern gegen Kartellanten verbessert, weil davon auszugehen ist, dass die EU-Kommission ihre Entscheidungen zukünftig mit mehr zivilrechtlich relevanten Einzelheiten veröffentlichen wird.

Vorgeschichte

Die EU-Kommission hatte gegen mehrere Chemieunternehmen wegen kartellrechtswidriger Absprachen Bußgelder in Millionenhöhe verhängt. Im Jahr 2007 wurde von der EU-Kommission eine stark verkürzte Version ihrer Bußgeldentscheidung veröffentlicht, in der wesentliche Einzelheiten geschwärzt waren. Eine belgische Prozessfinanzierungsgesellschaft klagt seit 2009 Schadensersatzansprüche mehrerer Geschädigter in dreistelliger Millionenhöhe vor dem LG Dortmund ein. Ende 2011 beabsichtigte die EU-Kommission auf Antrag der Geschädigten die Veröffentlichung einer ausführlicheren Fassung der Bußgeldentscheidung, die eine Vielzahl detaillierter Informationen über die Funktionsweise des geahndeten Kartells wie zum Beispiel Zitate aus von Kronzeugen vorgelegten Dokumenten und Interpretationshilfen der EU-Kommission beinhalten sollte. Dieses Vorhaben stoppte das Europäische Gericht auf Antrag zweier Kartellanten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, weil die Kartellanten befürchteten, dass durch die Veröffentlichung vertrauliche Geschäftsgeheimnisse offenbart würden.

Die Entscheidung des EuG vom 28.01.2015, Az. T-341/12 und T-345/12

Im Hauptsacheverfahren hat das Europäische Gericht nun entschieden, dass die EU-Kommission eine ausführlichere Fassung ihrer Bußgeldentscheidung gegen das Wasserstoffperoxid-/Bleichmittelkartell veröffentlichen darf. Zunächst stellt das Gericht klar, dass die Veröffentlichung einer Entscheidung durch die EU-Kommission nicht mit dem Zugang von Kartellgeschädigten zu Verfahrensakten vermischt werden darf. Im vorliegenden Fall gehe es nicht um einen Zugang zu allen vertraulichen Informationen aus den Verfahrensakten, sondern vielmehr um die Veröffentlichung einer erweiterten nichtvertraulichen Fassung der Bußgeldentscheidung. Darin seien nach wie vor die Informationsquellen und die Namen der Mitarbeiter der Kartellanten nicht genannt, auch wenn weitere Details offengelegt werden.

Bei der Entscheidung über den Umfang der Veröffentlichung stehe der EU-Kommission ein weiter Ermessensspielraum zu (Rn. 155). Ob einzelne Informationen veröffentlicht werden dürfen oder geschwärzt werden müssten, sei unter Berücksichtigung von Berufsgeheimnissen und sonstigen vertraulichen Informationen sowie dem Recht der Unionsbürger auf Zugang zu Dokumenten der Organe zu ermitteln (Rn. 89). In diesem Zusammenhang hebt das Gericht hervor, dass sogar Informationen, die im Rahmen einer Kronzeugenerklärung freiwillig übermittelt wurden, veröffentlicht werden dürfen, solange der Schutz des Berufsgeheimnisses dem nicht entgegenstehe. Das Interesse der Kartellanten, sich gegen eine mögliche Verurteilung in nationalen Schadensersatzprozessen zu schützen, dürfe bei der zu treffenden Ermessensentscheidung durch die EU-Kommission keine Beachtung finden (Rn. 110).

Anmerkung

In Zukunft können Kartellgeschädigte ihre Schadensersatzansprüche leichter durchsetzen, sofern die EU-Kommission und auch nationale Wettbewerbsbehörden ausführlichere Versionen ihrer Entscheidungen veröffentlichen. Die Attraktivität der Kronzeugenprogramme sollte dabei nicht gefährdet werden, da nach wie vor ein vollständiges Absehen von der Geldbuße als Belohnung in Aussicht steht. Dennoch werden Unternehmen bei ihren Kronzeugenanträgen von jetzt an noch stärker darauf achten, im Rahmen der Kooperation mit der EU-Kommission und den nationalen Wettbewerbsbehörden nur die absolut notwendigen Informationen preiszugeben. Für Kartellanten empfiehlt es sich zu prüfen, ob die Veröffentlichung der Entscheidung ggf. im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes unterbunden oder verzögert werden kann, so dass mögliche Schadensersatzkläger Informationen, die für Schadensersatzklagen wertvoll sein könnten, nicht oder nur mit zeitlicher Verzögerung erhalten.

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