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AGB-Recht: Anforderungen an das Aushandeln von Vertragsklauseln

In Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist es im Blick auf die feststehenden Ergebnisse der Rechtsprechung nicht mehr möglich, in wirksamer Weise Risiken des Vertrages auszuschließen oder angemessen zu begrenzen. Dafür bedarf es individuell ausgehandelter Vertragsbedingungen. Zu den (hohen) Anforderungen an das Aushandeln hat der BGH am 20. März 2014 eine Grundsatzentscheidung gefällt.

Nach ständiger Rechtsprechung sind Vereinbarungen dann „ausgehandelt", wenn der Verwender der AGB diese gegenüber seinem Vertragspartner ernsthaft zur Disposition stellt, um ihm die „reale Möglichkeit" einzuräumen, durch eine Änderung der AGB seine eigenen Interessen durchzusetzen.

Dabei muss der Verwender - das ist unabdingbar - den „gesetzesfremden Kerngehalt" der Klausel zur Disposition stellen. Darunter ist der Klauselinhalt zu verstehen, der vom BGB/HGB abweicht. Beispiel: Wenn eine Haftungsbegrenzung von 10% des Kaufpreises als „catch-all"-Klausel angeboten wird, dann darf der Verwender nicht nur in der Höhe der Begrenzung nachgeben und sich dann auf 25% einigen. Nein, er muss zunächst anbieten, dass er - unbegrenzt - nach Gesetz haftet und diese Lösung dem Kunden offerieren. Das mag man als lebensfremde ansehen, aber es ist die Realität der Rechtsprechung.

An dieser Schraube, die Vertragsfreiheit noch weiter einzuschränken, hat nun der BGH in einem Grundsatzurteil vom 20. März 2014 erneut „gedreht". Um sich der Mühe einer „Aushandlung" aller gesetzesfremden - und unwirksamen - Klauseln zu entziehen, hatte der Verwender eine pfiffige Idee: In einem Vergabeprotokoll fand sich der Satz, dass der Kunde „ausdrücklich bestätigt", „dass im Rahmen der vorangegangenen Verhandlungen über jede Vertragsklausel ausgiebig und ernsthaft diskutiert und verhandelt wurde". Und dann kam der weitere - entscheidende - Satz: beide Parteien waren sich nämlich auch darüber einig, „dass es sich bei dem geschlossenen Vertrag (insgesamt) um einen Individualvertrag handelt".

Ersichtlich wollte der Verwender auf diese Weise erreichen, dass alle von ihm verwendeten Klauseln der richterlichen Inhaltskontrolle nach § 307 BGB entzogen sind und als Individualabreden uneingeschränkt gültig und wirksam sind. Das hatte ja auch der Kunde ausdrücklich so bestätigt und die vorerwähnte Klausel auch eigenhändig unterzeichnet.

Doch der BGH gewährte keine Gnade. Zwei Aussagen sind es, die für die Praxis enorme Bedeutung besitzen: Die erste: Es geht nicht an, dass der Verwender einfach in einer Art „Individualvereinbarung" erklärt, dass alle Klauseln „ernsthaft und ausgiebig verhandelt" worden sind. Denn es kommt nach der Rechtsprechung des BGH darauf an, dass sich ein „Aushandeln" vorformulierter Vertragsbedingungen auf jede einzelne Klausel beziehen muss. Ein allgemeiner Hinweis über das „Aushandeln"  ist nicht ausreichend, weil er nicht hinreichend konkretisiert die einzelne Klausel ins Visier nimmt und dem Kunden zu erkennen gibt, dass er insoweit auch „im Einzelnen" tatsächlich änderungsbereit ist.

Der Schutz der richterlichen Inhaltskontrolle nach den §§ 305ff. BGB erfordert es, dass Manipulationen und Umgehungen der Boden entzogen wird. Denn die richterliche Inhaltskontrolle ist auch im unternehmerischen Verkehr zwingendes Recht. Ihr Sinn und Zweck ist es, privatrechtlichen Gestaltungen definitive Grenzen zu ziehen, was auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
Daraus folgt: Es bleibt dabei, dass der Verwender von AGB ein Aushandeln - dies ist mehr als ein Verhandeln - in jedem einzelnen Fall nachweisen und auch Klausel für Klausel belegen muss. Regelmäßig kann dies erfolgreich geschehen, wenn eine Abänderung der einzelnen Klausel auf Wunsch und entsprechend den Interessen des Kunden tatsächlich geschehen ist. Dazu besteht natürlich nur dann Anlass, wenn die betreffende Klausel nicht gesetzeskonform ist.

Der zweite Grundsatz: Auch eine tatsächlich ausgehandelte - allgemein gehalten - Vereinbarung ist nicht in der Lage, den Schutz des AGB-Recht - und damit das strikte Eingreifen der richterlichen Inhaltskontrolle gegenüber AGB-Klauseln - auszuschließen. Denn die Vertragsfreiheit setzt sich gegenüber zwingendem Recht nicht durch.

Lehrsatz für die Praxis: Wo immer AGB verwendet werden, die nicht der neuesten Linie der Rechtsprechung entsprechen, kann deren Unwirksamkeit nur durch eine konkrete Abänderung dieser Klausel in Form einer ausgehandelten Individualvereinbarung saniert werden. Dazu muss der Verwender erkennbar bereit sein und dies seinem Kunden gegenüber wissen lassen.

Man mag diese Entwicklung der Rechtsprechung aus politischen Erwägungen bedauern und anmahnen, dass die Vertragsfreiheit auch im unternehmerischen Bereich an ihr Ende gelangt ist. Doch genau dies ist die Realität - nicht erst seit gestern. Denn bereits im Jahr 1977 hat der BGH eine ähnliche Klausel, dass die vorformulierte Bedingungen als „ausgehandelt" anzusehen sind, trotz der Gegenbestätigung durch den Kunden in einem Maklervertrag als unwirksam verworfen. In Wirklichkeit führt der BGH also nur eine sehr alte Linie der Rechtsprechung fort. Doch dieses Makler-Urteil war lange Zeit in Vergessenheit geraten. Jetzt hat der VII. Senat des BGH mit dieser neuen Entscheidung einen Markstein für die Praxis gesetzt und auch festgelegt, dass dies alles so wichtig ist, dass diese Entscheidung in der amtlichen Sammlung der BGH-Urteile zu veröffentlichen ist.

Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen

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