Die Krimkrise als rechtliche Herausforderung

Einleitung


Die Haltung der ukrainischen Regierung im Hinblick auf eine Handelsassoziierung mit der EU löste im November 2013 massive Demonstrationen in der Hauptstadt der Ukraine aus. Das brutale Vorgehen der ukrainischen Polizei führte zu Massenprotesten gegen die ukrainische Regierung. Nachdem am 19. und 20. Februar 2014 Tausende verletzt und mehr als 100 Zivilisten getötet wurden, verließ der ukrainische Präsident W. Janukowitsch fluchtartig das Land. Das ukrainische Parlament stellte in seiner Sondersitzung am 22. und 23. Februar 2014 die Machtverhältnisse in der Ukraine wieder her. Dennoch war das Machtsystem in der Ukraine so geschwächt wie noch nie zuvor in den 23 Jahren ihrer Unabhängigkeit.

Invasion und Annektierung

Am 24. Februar 2014 begannen Streitkräfte der Russischen Föderation einer Krim-Militärbasis ihren Standort zu verlassen und breiteten sich in Verstoß gegen die bilateralen Abkommen zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation im Gebiet der gesamten Halbinsel Krim aus. Diese Streitkräfte wurden an verschiedenen Orten der Krim von Journalisten gesehen. Trotz zahlreicher Video- und Fotoberichte in den Medien zu diesem Thema bestritten russische Offizielle jedoch diese Fakten und behaupteten, es handle sich um Selbstverteidigungstruppen der Krim-Zivilbevölkerung.

Die besagten Streitkräfte verweigerten Journalisten den Zugang zum lokalen Parlament der Autonomen Krimrepublik. Am 6. März 2014 verabschiedete das lokale Parlament einen Beschluss zur Abhaltung eines „Referendums" in der Krim am 16. März 2014. Das ukrainische Recht bietet keine gesetzliche Grundlage für die Abhaltung eines solchen lokalen Referendums. Überdies können jegliche Angelegenheiten in Zusammenhang mit der Integrität des ukrainischen Staates sowie jegliche Änderungen der Grenzen des Landes nur aufgrund eines landesweiten ukrainischen Referendums entschieden werden.

Am 11. März 2014 verabschiedete das Parlament eine Unabhängigkeitserklärung der Autonomen Krimrepublik unter dem Vorbehalt ihrer weiteren Unterstützung im Wege des bevorstehenden „Referendums". Am 16. März 2014 fand das „Referendum" statt. Nach Angaben zuständiger Krim-Instanzen stimmten mehr als 95 % der Krimbewohner für einen Anschluss der Krim und der Stadt Sewastopol an die Russische Föderation.

Am 20. März 2014 wurde das zuvor angesprochene Abkommen per Verabschiedung des föderalen Gesetzes „Über den Anschluss der Krimrepublik an die Russische Föderation und die Formation der Krimrepublik sowie der Stadt Sewastopol mit föderalem Sonderstatus zu neuen Mitgliedern der Russischen Föderation" ratifiziert. Am 21. März 2014 trat das Annektierungsgesetz in Kraft und bildete den Abschluss des Verfahrens der Annektierung des Krimgebiets durch die Russische Föderation.

Insgesamt nahm die Annektierung souveränen ukrainischen Territoriums weniger als einen Monat ab dem Zeitpunkt in Anspruch, an dem das Machtsystem in der Ukraine durch Maßnahmen des früheren ukrainischen Präsidenten destabilisiert wurde. Eine dermaßen gut organisierte Operation lässt keine Zweifel daran zu, dass die beschriebenen Ereignisse nicht spontan erfolgten, sondern vielmehr von der russischen Regierung bereits Jahrzehnte vor ihrer Durchführung geplant worden waren.

Und das geltende Recht?

Die Situation der Krim aus rechtlicher Sicht zu analysieren, ist ein schwieriges Unterfangen. Seit dem zweiten Weltkrieg ist es das erste Mal, dass das souveräne Territorium eines Staates von einem anderen Staat annektiert wird. Es ist daher nicht überraschend, dass internationale und lokale Rechtsordnungen keine Orientierungshilfe zur „richtigen Vorgehensweise für Unternehmen" in besetzten Gebieten bieten.

Zunächst sollte der Umstand erwähnt werden, dass die meisten Staaten, internationalen Organisationen und nichtstaatlichen Institutionen eine Anerkennung des Referendums in der Krim und den Beitritt der Krimrepublik zur Russischen Föderation offiziell abgelehnt haben. Diese Position wurde von den Vereinten Nationen, der Europäischen Union, der NATO, PACE. Großbritannien, USA, Deutschland, Frankreich, Polen, Australien, Kanada, Japan, Südkorea sowie den baltischen Staaten und anderen bezogen.

Die Venedig-Kommission hat das Referendum in der Krim ebenfalls nicht anerkannt und kam zur Schlussfolgerung, dass die Annektierung eines Staates nur auf Grundlage eines internationalen Abkommens zwischen den beiden beteiligten Staaten, auf keinen Fall aber auf der Basis unilateraler Vorgehensweisen möglich ist.

Am 27. März 2014 billigte die UN-Vollversammlung eine Resolution, mittels welcher die Unverletzlichkeit der territorialen Integrität der Ukraine anerkannt wird. 100 UN-Mitgliedsstaaten einschließlich der USA stimmten für diese Resolution, 11 UN-Mitgliedsstaaten, darunter Russland, stimmten dagegen, und 58 UN-Mitgliedsstaaten enthielten sich der Stimme.

Die internationale Reaktion hat die Russische Föderation allerdings keineswegs von der Einführung ihrer Rahmengesetzgebung in der Krim abgehalten. Auch die Ukraine befasst sich zwischenzeitlich mit der Ausarbeitung ihres eigenen Gesetzes „Über die Rechte und Freiheiten für Bürger der Ukraine in besetzten Gebieten" (der „Gesetzesentwurf"), das rechtliche Grundlagen für die weiteren Beziehungen zwischen der Krim und der Ukraine vorsieht.

Kurzdarstellung ukrainischer/russischer Gesetzesinitiativen

Eine kurze Zusammenfassung der gesetzlichen Entwicklungen erlaubt folgende Schlussfolgerungen:

  • Die Krim stellt für die Ukraine und die Russische Föderation ein strittiges Territorium mit unklarem rechtlichem Status dar, da beide Länder die Krim als ihr eigenes souveränes Gebiet betrachten;
  • einstweilen können die ukrainische Gesetzgebung und Währung im Gebiet der Krim angewendet bzw. benutzt werden. Die gegenwärtige Krim-Regierung bietet jedoch keine aktive Orientierungshilfe dazu, ob und wie ukrainische Gesetze derzeit anzuwenden sind;
  • in der Ukraine wird der Krim möglicherweise der besondere Status eines zeitweise besetzten Gebiets mit einer Reihe von erheblichen Beschränkungen für geschäftliche Aktivitäten verliehen, wobei die Nichtbefolgung dieses Regelwerks zu Haftungsverpflichtungen nach ukrainischem Recht führen kann (wenn der angesprochene Gesetzesentwurf in seiner aktuell verfügbaren Fassung verabschiedet wird). Die vorangehende Fassung des Gesetzesentwurfs sah eine strafrechtliche Haftung für die Nichtbefolgung gesetzlicher Auflagen und die Realisierung von Kooperationsformen jeglicher Art mit dem Besatzungsstaat (Russland) in der Krim vor. Auch wenn die aktuelle Fassung des Gesetzesentwurfs solche Bestimmungen nicht mehr enthält, kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine strafrechtliche Haftung wegen Kollaboration mit russischen Behörden in der Krim (wobei der Begriff der „Kollaboration" spezifisch zu definieren ist) in das Strafgesetzbuch der Ukraine aufgenommen wird und damit für alle ukrainischen Bürger einschließlich Führungskräften ukrainischer Unternehmen Anwendung finden würde;
  • erhebliche Beschränkungen bestehen für Bankgeschäfte ukrainischer Banken in der Krim, wovon etwa die Benutzung von Kredit- und Debitkarten betroffen ist; außerdem stehen Darlehen weder juristischen noch natürlichen Personen zur Verfügung. Russische Banken sind in der Krim bisher noch nicht präsent;
  • der Erwerb unbeweglicher und potenziell beweglicher Güter in der Krim, die der staatlichen Registrierung unterliegen, kann mit dem Risiko einer weitergehenden Nichtanerkennung des zugehörigen Eigentums durch ukrainische Behörden verbunden sein;
  • es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Transport von Waren aus der Ukraine in die Krim von russischen Behörden als Einfuhr behandelt wird, mit der Folge, dass eine Verpflichtung zur Abfertigung der Waren durch die örtlichen Zollbehörden und zur Zahlung russischer Einfuhrzollabgaben und Steuern besteht;
  • die Ukraine wird den Transport in die und aus der Krim beschränken; die einzige existierende Fährverbindung nach Russland in Kerch (östliche Krim) wird nicht ausreichen, um eine stabile Versorgung mit Gütern und die Bewegung von Menschen in die und aus der Krim sicherzustellen. Russische Behörden gaben Pläne bekannt, eine Brücke zwischen der östlichen Krim und dem russischen Festlandsgebiet zu bauen. Machbarkeit und Kosten eines solchen Projekts bleiben allerdings unklar, und es könnte mehrere Jahre bis zu dessen Verwirklichung dauern; und
  • viele geschäftsbezogene Themen sind nach wie vor ungeregelt, so z.B. der Bereich Arbeit (es ist nicht klar, ob ukrainische Bürger Arbeitserlaubnisse für die Krim brauchen und wo solche zu beantragen wären) und der Bereich Steuern (an welche Behörden sind sie zu zahlen (d.h. an russische oder ukrainische Finanzämter)). Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass jegliche Zahlungen an staatliche ukrainische Behörden von in der Krim registrierten Unternehmen innerhalb der nächsten Wochen unterbunden werden und dass die Russische Föderation innerhalb der nächsten 3 - 6 Monate ihr eigenes Netzwerk staatlicher Behörden in der Region errichtet.


Unklare Zukunft


Die Situation in der Krim stellt nicht nur eine enorme Herausforderung für die Ukraine und deren Rechtssystem dar, sondern kann sich auch als gefährliche Erfahrung für den Rest der Welt erweisen, da andere Länder versucht sein könnten, diese Situation bei anderen Territorien in aller Welt zu wiederholen. Die Lage im Umfeld der Krim und der Ukraine ändert sich täglich, weshalb es schwierig ist vorherzusagen, wie dieses Geschehen enden wird. Als sicher kann festgehalten werden, dass eine starke und einheitliche internationale Unterstützung der Ukraine außerordentlich wichtig ist, um die Situation einer friedlichen und zivilisierten Lösung zuzuführen.

Pavlo Loginov, leading associate unseres Kooperationspartners Vasil Kisil & Partners, Kiew, Ukraine 

Dr. Barbara Mayer
Fachanwältin für Handels- und Gesellschaftsrecht

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