„Say on pay": Alle Macht den Aktionären?
Erste Erfahrungswerte von Schweizer Unternehmen

Die Aktionäre von Unternehmen sollen in Zukunft über die Vergütungspolitik für das Management entscheiden, d.h. über die Höchstbeträge der Gesamtvergütung, über das Verhältnis von festen und variablen Vergütungsbestandteilen und über das Verhältnis zwischen den Managergehältern und dem Durchschnittslohn der übrigen Belegschaft. All dies sieht der neue Entwurf der EU-Kommission zur geänderten Aktionärsrechte-Richtlinie vor. Die Schweiz ist aufgrund der „Abzocker-Initiative" schon einen Schritt weiter. Wir stellen die ersten Erfahrungen vor.

Die „say on pay"-Bewegung bahnt sich ihren Weg in Europa

Die Aktionäre von Unternehmen sollen in Zukunft mindestens alle drei Jahre über die Vergütungspolitik für das Management abstimmen. Die Vergütungspolitik soll u.a. die Höchstbeträge der Gesamtvergütung, die seitens der Unternehmen an die Unternehmensleitung gewährt werden kann, enthalten und sich zum jeweiligen Verhältnis von festen und variablen Vergütungsbestandteilen äussern. Auch das Verhältnis zwischen den Managergehältern und dem Durchschnittslohn der übrigen Belegschaft soll thematisiert werden. All dies sieht der neueste Vorschlag für eine Änderung der Aktionärsrechte-Richtlinie vor, den die Europäische Kommission am 9. April 2014 vorgestellt hat. Die Zielrichtung ist klar: Unternehmen sollen die Mitglieder ihrer Unternehmensleitung nur entsprechend der von den Aktionären genehmigten Vergütungspolitik entlohnen können. Damit will die Kommission dazu beitragen, die Corporate Governance europäischer Publikumsgesellschaften zu verbessern.

Offensichtlich hat die „say on pay"-Bewegung, die in den USA und in anderen Ländern bereits ihren ersten Niederschlag in Gesetzen gefunden hat, auch auf EU-Ebene eine hohe Priorität eingeräumt erhalten. Damit steht ein Rechtssetzungsprojekt auf der Pendenzenliste der EU-Kommission, die auch für Deutschlands Publikumsgesellschaften einschneidende Veränderungen mit sich bringen könnte.
 
„Say on pay" in der Schweiz

Die Schweiz ist mit einer eigenen „say on pay"-Bewegung schon mitten in der Umsetzung: Im März 2013 hat das Schweizer Stimmvolk im Rahmen einer sehr deutlich ausgefallenen Volksabstimmung über die „Initiative gegen die Abzockerei" bereits ein "say on pay"-Regime auf Verfassungsstufe eingeführt. Grund genug, um mit Blick auf die anstehenden Änderungen im EU-Raum die bisher gemachten ersten Erfahrungen in der Schweiz kurz Revue passieren zu lassen und aufzuzeigen, welche Herausforderungen Unternehmungen im Rahmen eines „say on pay" zu meistern haben.

Die neue Schweizer Verfassungsbestimmung ist nicht unmittelbar anwendbar, sondern bedarf der Umsetzung auf Gesetzesstufe durch das eidgenössische Parlament. Allerdings verlangte die Initiative, dass bis zum Erlass eines formellen Umsetzungsgesetzes seitens der Exekutive (Bundesrat) innert Jahresfrist eine Übergangsverordnung erlassen werden musste, welche die Einzelheiten regeln sollte. Diese Übergangsverordnung wurde innert weniger Monate erarbeitet und auf den 1. Januar 2014 in Kraft gesetzt (Verordnung gegenüber übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften, VegüV).

Die neue Verordnung markiert den Beginn einer neuen Zeitrechnung im Schweizer Aktienrecht für börsenkotierte Unternehmen, da neben dem eigentlichen „say on pay" auch zahlreiche weitere Vorgaben enthalten sind, die die Aktionärsrechte stärken sollen. Dies betrifft bspw.:

  • die zwingende jährliche Einzelwahl der Mitglieder des Verwaltungsrates, des Präsidenten sowie der Mitglieder des Vergütungsausschusses durch die Generalversammlung;
  • das Verbot gewisser Vergütungselemente unter teilweiser hoher Strafandrohung (Freiheitsstrafe und Geldstrafe); dies gilt insbesondere für Abgangsentschädigungen und Vergütungen im Voraus;
  • die Einführung einer Stimm- und Rechenschaftspflicht für Vorsorgeeinrichtungen, welche Aktien an Schweizer Publikumsgesellschaften halten;
  • die Pflicht, in den Statuten zwingend diverse neue Aspekte zu regeln, etwa in Bezug auf die Anzahl zulässiger Mandate von Verwaltungsrats- und Geschäftsleitungsmitgliedern ausserhalb der jeweiligen Publikumsgesellschaft oder die Dauer respektive Kündigungsfrist von Arbeitsverträgen mit Geschäftsleitungsmitgliedern, die neu zwölf Monate nicht überschreiten dürfen; ebenso müssen die Statuten die Grundsätze für erfolgsabhängige Vergütungen und Beteiligungsprogramme regeln, damit die Gesellschaft von solchen Vergütungselementen Gebrauch machen kann.

Inzwischen haben sich denn auch schon zahlreiche Publikumsgesellschaften angeschickt, im Rahmen ihrer ordentlichen Generalversammlungen 2014 die teilweise umfangreichen Änderungen auf Stufe ihrer Unternehmensverfassungen (Statuten) zu beschliessen. Die meisten taten dies bis dato erfolgreich, gewisse scheiterten jedoch am erforderlichen Mehr und müssen nun im kommenden Jahr erneut vor die Aktionäre treten.

Die Frage nach dem „richtigen" Abstimmungssystem

Während die EU-Kommission darauf abzielt, die Aktionäre von europäischen Publikumsgesellschaften über die Vergütungspolitik abstimmen zu lassen, haben sich die Schweizer - zumindest im Rahmen der Übergangsverordnung - für ein anderes System des „say on pay" entschieden. Abgestimmt wird in der Schweiz nicht über die Ausgestaltung der Vergütungspolitik, sondern vielmehr ausschliesslich und direkt über die jeweilige Gesamtsumme, die Unternehmungen für die Dauer eines Jahres den Mitgliedern des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung ausrichten dürfen. Gegenstand des „say on pay" in der Schweiz ist also - etwas salopp formuliert - eine Zahl und nicht (auch) die Grundlagen und Prinzipien, die dieser Zahl zugrunde liegen.

Dieser Unterschied ist zumindest in Bezug auf die mediale Verarbeitung und die Rückwirkung dieser medialen Wirkung nicht zu unterschätzen - juristisch mag er etwas weniger bedeutsam sein: Selbstverständlich müssen Schweizer Publikumsgesellschaften auch weiterhin ihr Vergütungssystem hinsichtlich der wichtigsten Modalitäten sowie den ausgerichteten Beträgen den Aktionären gegenüber im Rahmen einer jährlichen - naturgemäss historischen - Berichterstattung über die Corporate Governance-Strukturen offenlegen, zumindest wenn sie an der SIX Swiss Exchange in Zürich kotiert sind, was bei allen grösseren Publikumsgesellschaften der Fall ist. Zudem müssen die Aktionäre wie erwähnt neu die Leitplanken für erfolgsabhängige Vergütungen und Beteiligungsprogramme in den Statuten vorgeben, wenn die Publikumsgesellschaft von solchen Vergütungselementen Gebrauch macht (wobei die bisherige Erfahrung zeigt, dass solche Grundzüge sehr allgemein gehalten werden).

Wenn Aktionäre in der Schweiz inskünftig über Gesamtsummen für ihre Organe abstimmen, stellt sich die derzeit als zentral angesehene Frage, wie dies genau zu erfolgen habe. Denn „say on pay" ist nicht gleich „say on pay; denkbar sind drei verschiedene Modelle:

  • Retrospektive Abstimmung: Die Aktionäre stimmen über die Gesamtsummen für das vergangene Geschäftsjahr ab. Diese wird derzeit von niemandem propagiert, da sie zu viel Unsicherheit birgt.
  • Prospektive Abstimmung: Die Aktionäre stimmen über die (maximalen) Gesamtsummen für eine kommende Periode, z.B. das nächste Geschäftsjahr, ab. Grössere Unternehmen, die dieses Modell gewählt haben respektive ermöglichen, sind etwa ABB, Actelion, Adecco, Credit Suisse, Geberit, Nestlé, Swisscom, Syngenta, Transocean und Zurich Insurance Group. Bei Novartis, Holcim, SGS und Swatch ist die Umsetzung noch nicht erfolgt.
  • Kombination: Die Aktionäre stimmen über das Grundsalär respektive Honorar sowie meist über die langfristige variable Vergütung prospektiv, d.h. für eine zukünftige Periode, ab, und für die kurzfristige variable Vergütung im Nachhinein, sprich retrospektiv. Grössere Unternehmen, die dieses Modell gewählt haben, sind etwa Givaudan, Julius Bär, Roche, SwissRe und UBS.

Die neuen Verordnungsvorgaben lassen den Unternehmen hierbei Spielraum und schreiben kein System zwingend vor. Zwingend ist „nur", dass die Abstimmung jährlich und in bindender Weise zu erfolgen hat.

Gemessen am aktuellen Stand der Erfahrungen entscheiden sich die meisten Publikumsgesellschaften entweder für ein rein prospektives Abstimmungssystem, bei dem die maximale Höhe sämtlicher Vergütungselemente im Voraus, gleichsam eines „Budgets" festgelegt werden, oder aber für ein kombiniertes System, bei dem die fixen Vergütungen und die langfristig angelegten Vergütungen (LTIs) prospektiv und die variablen kurzfristigen Vergütungen (Boni, STIs) retrospektiv den Aktionären zur Abstimmung vorgelegt werden.

Der Vorteil eines prospektiven Systems liegt auf der Hand: Stimmen die Aktionäre im Voraus über einen Gesamtbetrag ab, kann der Verwaltungsrat innerhalb dieses Rahmens entsprechend verfahren und Vergütungen ausrichten. Sowohl aus Sicht des Unternehmens wie auch der Empfänger herrscht ein hohes Mass an Rechtssicherheit. Der Nachteil eines prospektiven Systems liegt hingegen darin, dass die Aktionäre im Vorfeld einen Gesamtbetrag genehmigen müssen, ohne zu wissen, ob sich mit Blick auf die Entwicklung dieses Unternehmens und die Leistungen der Organe ein solcher Betrag im Nachhinein auch rechtfertigen lässt. Dies gilt namentlich für die kurzfristig angelegten Leistungsanreize (Boni, STIs), da diese regelmässig leistungs- bzw. erfolgsabhängig ausgestaltet sind und eine Kontrolle über „pay for performance" gewünscht wird. Aus diesem Grund haben fast alle Unternehmen, die das prospektive Modell gewählt haben, sich verpflichtet, den Vergütungsbericht auch in Zukunft den Aktionären zur konsultativen zur Genehmigung vorzulegen, wie das auch den internationalen Vorstellungen entspricht.

Der Einfluss der Stimmrechtsberater

Die Frage nach dem „richtigen" Abstimmungssystem und der „richtigen" Umsetzung für ein Unternehmen zeigt  auf, wie gross der Einfluss von Stimmrechtsberatern (Proxy Advisors) auch in der Schweiz inzwischen geworden ist. Dabei fällt aber auf, dass sowohl die nationalen Stimmrechtsberater unter sich als auch die internationalen Stimmrechtsberater völlig unterschiedliche Herangehensweisen zeigen und nicht alle Kritiken einheitlich geschweige denn nachvollziehbar sind. Mit der ebenfalls im Rahmen der neuen Verfassungsbestimmung  eingeführten Stimmpflicht für Schweizer Vorsorgeeinrichtungen, welche ab 1. Januar 2015 anwendbar ist, wird dieser Entwicklung zusätzlichen Auftrieb verliehen.

Ungelöste Konflikte zwischen Aktien- und Vertragsrecht

Die Umsetzung der schweizerischen „Say on Pay" Vorstellungen führt zwangsläufig zu Konflikten zwischen der gesellschaftsrechtlichen Struktur und dem Vertragsrecht. Per se kann und darf es nicht sein, dass die Aktionäre direkten Einfluss auf die Ausgestaltung und Gültigkeit des Arbeitsvertrages zwischen Gesellschaft und Geschäftsleitungsmitglied haben. Wird aber ein Lohn oder ein Lohnbestandteil im Nachhinein von der Generalversammlung nicht genehmigt, stellt sich die spannende Frage, ob - wie das derzeit von gewissen Kommentatoren vertreten wird - der Arbeitsvertrag gar nichtig wird, weil ein wesentliches Element des Vertrages entfällt. Weiter stellt sich die umstrittene Frage,  ob die variable Vergütung einen rechtlich durchsetzbaren Lohnbestandteil darstellt oder freiwillig ist (Gratifikation). Diese Konflikte sind bis dato noch nicht ausgestanden, denn in Juristenkreisen fallen die Antworten auf die mögliche Lösung des Konflikts sehr gegensätzlich aus.

Unmittelbare Folgen der ersten Erfahrungswerte

Die Schweiz steht inmitten der Umsetzung der neuen Vorgaben über das „say on pay". Insofern sind endgültige Schlüsse noch verfrüht. Was aber im Sinne eines Zwischenfazits sicherlich festgestellt werden kann, ist Folgendes:

  • Stimmrechtsberater machen ihren Einfluss geltend und scheinen sich im Rahmen der „say on pay"-Debatte zusätzlich profilieren zu wollen. Dies legt die Empfehlung nahe, die Kontakte zu Stimmrechtsberatern, soweit möglich, gut zu pflegen und deren Arbeits- und Funktionsweise bzw. deren Bedürfnisse bestmöglich zu verstehen. Noch wichtiger erscheint aber auch der Direktkontakt mit den Investoren, denn die wenigsten folgen blind einer Empfehlung.
  • Die Anforderungen an Investor Relations sind auch deshalb sehr stark gestiegen. Es gilt, Aktionäre im Hinblick auf die Regelung des „say on pay" wie auch in Bezug auf die eigentlichen Abstimmungen proaktiv zu informieren. Der Erklärungsbedarf ist teilweise sehr hoch und diesen nicht zu adressieren, kann schnell dazu führen, dass einem Unternehmen die Stimmen am Ende des Tages in der Generalversammlung fehlen.
  • Damit zusammenhängend lässt sich absehen, dass die Beschreibung der Vergütungspolitik und ihrer Funktionsweise im Rahmen der jährlichen Berichterstattung stark an Bedeutung zunehmen wird. Dem Erstellen der Vergütungsberichte sollte deshalb inskünftig mehr Gewicht geschenkt werden.
  • Prospektive Abstimmungssysteme, wie sie im Moment offenbar auch auf EU-Ebene angedacht sind, werden sinnvollerweise ergänzt, indem über den Vergütungsbericht zumindest konsultativ abgestimmt wird, um Rechenschaft über die Verwendung des genehmigten Maximalbetrages abzulegen.
  • Der Druck auf die Mitglieder des Vergütungsausschusses nimmt durch die jährliche Wahl zu. Diese sind deshalb gut beraten, ihre Rolle verantwortungsbewusst auszuüben und dabei auch die Arbeit von „compensation consultants" kritisch zu hinterfragen.

„Vergütungen bleiben ein äusserst delikates Thema für Unternehmen. Die Mitspracherechte der Aktionäre und die erhöhte Transparenz im Rahmen von Vergütungsberichten bringen neue Herausforderungen für Unternehmen mit sich, die frühzeitig zu berücksichtigen sind. Vergütungspolitik wird längst nicht mehr im stillen Kämmerchen der Verwaltungsräte beschlossen, sondern ist ein Thema, das die Stakeholder beschäftigt. Da das „optimale" Vergütungssystem von Gesellschaft zu Gesellschaft variiert, wird das Thema nicht so schnell von der Bildfläche verschwinden.
 
Ines Pöschel, Karim Maizar, Kellerhals Anwälte, Zürich

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