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Vertriebsrecht: Widersprüchliche Kündigungen sind unwirksam

Nicht neu, aber immer noch gültig und aktuell: Wird kurze Zeit nach Abschluss eines neuen Vertriebsvertrags eine Kündigung ausgesprochen, ist die Kündigung unwirksam. Das ergibt sich aus der Treue- und Fürsorgepflicht der Vertragspartner.

Zum Hintergrund: Ein Automobilhersteller hatte 1979 seiner gesamten Händlerschaft den Abschluss eines neuen Formularhändlervertrages angeboten und angekündigt, für den Fall der Ablehnung die ordentliche Kündigung auszusprechen. Anfang November akzeptierte ein Händler den neuen Formularvertrag; er wurde von beiden Seiten unterzeichnet. 1 ½ Monate später erhielt dieser Händler aus „vertriebsstrategischen Gründen" die ordentliche Kündigung, weil der Hersteller einen weiteren Händler im Vertragsgebiet einsetzen wollte.

Mit Urteil vom 8. Juli 1981 (84 O (Kart) 23/81 stellte das Landgericht Köln fest, dass die ausgesprochene Kündigung unwirksam sei. Die Beklagte habe durch den Abschluss eines neuen Vertrages gegenüber dem Händler den Anschein gegeben, als wolle sie das Vertragsverhältnis noch längere Zeit fortsetzen und sich jedenfalls nicht auf evtl. bestehende Gründe für eine alsbaldige Kündigung stützen. Der Händler durfte darauf vertrauen, dass der Hersteller das Vertragsverhältnis fortsetzen werde. Die 1 ½ Monate später erfolgte Kündigung stelle einen Bruch dieses Vertrauens dar und müsse vom Händler, der sich gerade auf eine weiterhin lange Zusammenarbeit mit der Beklagten eingestellt hatte, nicht hingenommen werden. Daran ändere auch nichts der Umstand, dass die Beklagte die längere Kündigungsfrist nach dem neuen Vertrag eingehalten habe. Der Hersteller müsse sich entgegenhalten lassen, dass er den Partner des schon lang andauernden Vertragsverhältnisses nicht in einem Monat Hoffnung auf Fortsetzung der Vertragsbeziehungen machen und den darauf folgenden Monaten diese Hoffnung wieder zerstören kann, ohne gegen die aus dem Verhältnis erwachsenen Treuepflichten zu verstoßen.

Dieses Urteil entspricht auch noch der heutigen Rechtsauffassung: Das Verbot des widersprüchlichen Verhaltens wird nämlich durch die Prinzipien des Vertrauensschutzes und der Zurechenbarkeit bestimmt, wobei kein Verschulden erforderlich ist. Gerade vor dem Hintergrund der gesteigerten Treue- und Fürsorgepflicht des Herstellers ist daher eine kurz nach neuem Vertragsbeginn ausgesprochene Kündigung nicht wirksam.

Prof. F. Christian Genzow

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