Saudi-Arabien: Erste Erfahrungen mit dem neuen saudi-arabischen Schiedsgesetz

Saudi-Arabien gehört zu den wichtigsten deutschen Handelspartnern in der arabischen Welt und ist die zentrale regionale Wirtschaftsmacht am Golf. Die Rechtsverfolgung im Verhältnis zu Saudi-Arabien ist allerdings schwierig. Ein Grund war in der Vergangenheit das saudische Schiedsrecht, das den internationalen Anforderungen nur begrenzt entsprochen hat. Das wird sich jetzt ändern: Am 9. Juli 2012 ist das neue saudisches Schiedsgesetz in Kraft getreten. Wir berichten über erste Erfahrungen aus der Praxis.

Das neue saudische Schiedsgesetz (2012), das stark vom UNCITRAL Modellgesetz beeinflusst ist, ist so ein Meilenstein auf dem Weg hin zu einer schiedsfreundlichen Kultur. Das Gesetz trat am 9. Juli 2012 in Kraft und hat das alte Schiedsgesetz aus dem Jahr 1983 ersetzt.

Bereits 1994 war Saudi-Arabien der New York Convention über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen beigetreten. Damit bestehen jetzt die wesentlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen für die internationale Schiedsgerichtsbarkeit und die Vollstreckung von Schiedssprüchen in Saudi-Arabien.

Was ist neu?

Das alte Schiedsrecht hatte eine Reihe von Schwachpunkten, die Saudi-Arabien als Schiedsort unattraktiv machten. Aus Sicht einer internationalen Vertragspartei sind die folgenden Neuerungen im Schiedsgesetz (2012) - im folgenden „SchiedsG" - hervorzuheben:

Schiedsregeln

Das Schiedsverfahren unterlag bislang zwingend den Vorschriften des saudischen Schiedsverfahrensrechts. Die Vereinbarung einer internationalen Schiedsordnung war nicht möglich.

Nach Art. 25 SchiedsG können die Parteien jetzt die Schiedsregeln und die Schiedsinstitution frei wählen. Die Folge ist, dass auch bei einem Schiedsverfahren mit Sitz in Saudi-Arabien eine der international gängigen Schiedsordnungen (ICC, LCIA, DIS oder DIAC) Anwendung finden können. Von dieser Gestaltungsmöglichkeit sollten die Parteien unbedingt Gebrauch machen, weil eine bewährte und international erprobte Schiedsordnung in jedem Fall das Verfahren und eine spätere Vollstreckung des Schiedsspruches erleichtert.

Rechtswahl

Eine Rechtswahl war bislang ausgeschlossen. Das Schiedsgericht entschied den Streit vielmehr stets nach saudi-arabischem Recht. Dem lag die Vorstellung zu Grunde, dass der islamische Richter („Qâdî") nur islamisches Scharia-Recht anwendet. Das saudi-arabische Wirtschaftsrecht ist dabei nur teilweise kodifiziert und unterliegt im Übrigen dem islamischen  Recht.

Nach Art. 38 (1) SchiedsG (2012) ist jetzt eine Rechtwahl zulässig. Grenzen setzen der Rechtswahl allerdings der Ordre Public und die zwingenden Bestimmungen der islamischen Scharia. Im Ergebnis ist es jetzt möglich, das auf einen Vertrag anwendbare Recht zu wählen, wenn der Vertrag eine Schiedsklausel enthält (staatliche Gerichte in Saudi-Arabien erkennen eine Rechtswahl weiter nicht an). Oft ist es schwierig zu beurteilen, wie das (historische) Scharia-Recht eine Frage des modernen Wirtschaftsverkehrs beurteilt. Eine Rechtswahl ist daher bei komplexen wirtschaftsrechtlichen Verträgen in jedem Fall ratsam.

Wahl der Schiedsrichter

Bislang war die Wahl der Schiedsrichter stark eingeschränkt. Diese mussten saudische Staatsbürger oder Ausländer muslimischen Glaubens sein. Es war umstritten, ob Frauen als Schiedsrichter fungieren dürfen. Für ausländische Parteien machte das ein Schiedsverfahren in Saudi-Arabien in aller Regel unattraktiv.

Art. 14 SchiedsG schlägt hier einen liberaleren Ton an: Voraussetzung ist danach nur noch, dass der Schiedsrichter unbeschränkt geschäftsfähig ist, einen guten Leumund hat und einen Universitätsabschluss entweder im staatlichen Recht oder in der Scharia nachweisen kann. Handelt es sich um ein Dreierschiedsgericht, ist es ausreichend, wenn der Vorsitzende diese Voraussetzung erfüllt. Ausländer und Nichtmuslime dürfen ohne Weiteres als Schiedsrichter fungieren.

Gerichtliche Überprüfung von Schiedssprüchen

Die Gerichte hatten in der Vergangenheit Kompetenzen, Entscheidungen des Schiedsgerichts in einem Berufungsverfahren zu überprüfen. Im Berufungsverfahren entschied das staatliche Gericht als zweite Instanz, nicht beschränkt auf eventuelle Aufhebungsgründe (neben der Berufung war die Aufhebung von Schiedssprüchen separat geregelt). So wurde im Streitfall zunächst ein Schiedsverfahren durchgeführt, und dann der Rechtsstreit vor Gericht noch einmal komplett aufgerollt.

Art. 49 und 50 SchiedsG bringen hier weitreichende Veränderungen: Die Berufung gegen einen Schiedsspruch ist ausgeschlossen, und der Katalog der Aufhebungsgründe entspricht im Wesentlichen dem internationalen Standard. Damit wird eine ganz wesentliche Schwäche des saudischen Schiedsverfahrens behoben.

Fallstricke

Ungeachtet der Reformen bestehen aber weiter einer Reihe von Fallstricken, die ausländischen Parteien das Leben schwer machen können:

Streitigkeiten mit der öffentlichen Hand

Art. 2 (2) SchiedsG definiert die Schiedsfähigkeit weit, und nimmt lediglich familien- und erbrechtliche Angelegenheiten sowie Streitigkeiten aus, die „nicht einem Vergleich zugänglich sind". Damit können wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten in den üblichen Grenzen der Schiedsgerichtsbarkeit unterstellt werden.

Eine wichtige Ausnahme besteht allerdings für Streitigkeiten mit der öffentlichen Hand: Nach Art. 10 (2) SchiedsG darf eine öffentliche Körperschaft eine Schiedsklausel nur mit Zustimmung des Ministerpräsidenten vereinbaren, sofern keine spezialgesetzliche Ermächtigung vorliegt. Das schränkt die Schiedsfähigkeiten von Streitigkeiten mit der öffentlichen Hand stark ein. Nicht abschließend geklärt ist dabei, ob und in welchem Umfang diese Einschränkung auf Verträge mit Staatsunternehmen in Privatrechtsform Anwendung findet. Staatsunternehmen und öffentlich finanzierte Aufträge spielen im Saudi-Arabien Geschäft eine große Rolle.

Scharia-Recht und Ordre Public

Die Wahl der Verfahrensregeln und des anwendbaren materiellen Rechts steht unter dem Vorbehalt der zwingenden Bestimmungen des Scharia-Rechts (Art. 25 (1) und 38 (1) SchiedsG). Wie der „Scharia-Vorbehalt" in der Praxis gehandhabt wird, bleibt abzuwarten.

Nach herkömmlicher islamischer Vorstellung dürfen Frauen nicht Richter sein und sind auch vom Schiedsrichteramt ausgeschlossen. Hinzu kommt eine unterschiedliche „Wertigkeit" von Zeugenaussagen abhängig von der Religion (das Zeugnis des Muslims wiegt mehr als das des Nichtmuslims) und des Geschlechts (die Aussage des Mannes hat Vorrang). Diese Vorstellungen werden auch in der islamischen Welt weitgehend als nicht mehr zeitgemäß angesehen. Die Frage ist, in welchem Umfang die saudischen Gerichte auch in Zukunft hieran festhalten werden.

Des Weiteren sind nach islamischem Recht Zinsen und spekulative Verträge nicht zulässig. Forderungen sind nur in eingeschränktem Umfang zirkulationsfähig. Das alles setzt der Gestaltung von modernen Finanzprodukten enge Grenzen. Auch hier stellt sich die Frage, inwieweit die betreffenden Beschränkungen in der Schiedsgerichtsbarkeit aufrechterhalten werden.

Ausblick

Das neue saudische Schiedsgesetz schafft die Voraussetzungen für eine schiedsfreundliche Kultur. Damit hat der Gesetzgeber einen wichtigen Trend gesetzt. Die Umsetzung in der Praxis bleibt abzuwarten. Gleichwohl besteht die berechtigte Hoffnung, dass Saudi-Arabien auf dem international wichtigen Gebiet der Schiedsgerichtsbarkeit aufholt.

Auch wenn das Schiedsgesetz einen Rahmen für die Schiedsgerichtsbarkeit in Saudi-Arabien schafft, bleiben viele Detailfragen offen. Diese müssen durch die Ausführungsbestimmungen und die Auslegung in der Praxis beantwortet werden. Das gilt gerade für die Auslegungsfragen, bei denen es auf die Werte und Vorstellungen des islamischen Rechts ankommt. Hier wird entscheidend sein, ob die Gerichte einer liberalen Auslegung folgen werden - denn das islamische Recht eröffnet weite Auslegungsspielräume. Die Regeln des islamischen Rechts sind nicht in gesetzesform gegossen oder in Stein gemeißelt, sondern am Ende das, was die Juristen aus dem historischen Material machen.

In jedem Fall eröffnet das neue Gesetz ausländischen Parteien wichtige Gestaltungmöglichkeiten, wenn es um die Wahl des anwendbaren materiellen Rechts oder der Schiedsordnung geht, der das Verfahren unterliegt. Diese Gestaltungsmöglichkeiten bleiben den Parteien unbenommen, ganz unabhängig davon, wie sich die Schiedspraxis im Übrigen entwickelt.

Dr. Kilian Bälz, LL.M. (London), Partner, Amereller Rechtsanwälte, Dubai und Kairo (kb@amereller.com)

Dr. Barbara Mayer
Fachanwältin für Handels- und Gesellschaftsrecht

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