Arbeitsrecht: Welches nationale Recht gilt für deutsche Arbeitnehmer deutscher Arbeitgeber im Ausland?

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte zu entscheiden, ob - wenn in dieser Fallgestaltung keine Rechtswahl getroffen ist - das Recht des gewöhnlichen Arbeitsortes oder das Recht des Staates, zu dem die engste Verbindung des Arbeitsverhältnisses insgesamt besteht, maßgeblich ist.

Hintergrund

Eine in Deutschland wohnhafte deutsche Staatsangehörige hatte mit „Schlecker" in Deutschland einen Arbeitsvertrag abgeschlossen, war auf dessen Grundlage aber fast 12 Jahre in den Niederlanden tätig. Im Arbeitsvertrag war keine Regelung über das auf das Arbeitsverhältnis anzuwendende Recht getroffen worden. Als die Arbeitnehmerin angewiesen wurde wieder in Deutschland zu arbeiten, da ihre Stelle in den Niederlanden ersatzlos entfiel, klagte sie vor den niederländischen Gerichten, um die Anwendbarkeit des niederländischen Rechts auf ihren Arbeitsvertrag zu erreichen. Dieses gewährt einen im Vergleich zum deutschen Recht weitergehenden Schutz vor Versetzungen zur Änderung des Arbeitsortes.

Nach Art. 6 des „Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, aufgelegt zur Unterzeichnung am 19. Juni 1980 in Rom" erfolgt die Feststellung des anzuwendenden Rechts - wenn eine ausdrückliche Rechtswahl durch die Arbeitsvertragsparteien nicht getroffen ist - danach, wo der Arbeitnehmer "gewöhnlich seine Arbeit verrichtet" (Art. 6 Abs. 2 a) oder nach dem Sitz der "Niederlassung, die den Arbeitnehmer eingestellt hat" (Art. 6 Abs. 2 b). Art. 6 Abs. 2 Halbsatz 2 regelt eine Ausnahme der vorgenannten Bestimmungen für den Fall, dass eine engere Verbindung des Arbeitsverhältnisses zu einem anderen Staat besteht. Dann soll das Recht dieses anderen Staates anzuwenden sein.

Der EuGH hatte bereits in einer anderen Rechtssache entschieden, dass im Verhältnis zwischen Art. 6 Abs. 2 a und b das Kriterium des Verrichtungsortes vorrangig zu berücksichtigen ist (vgl. EuGH Urteil v. 15.03.2011, C‑29/10). Das hier angerufene niederländische Gericht hatte Zweifel hinsichtlich der Auslegung des Art. 6 Abs. 2 a im Verhältnis zur Ausnahmeregelung in Art. 6 Abs. 2 Halbsatz 2 und legte die Entscheidung dem EuGH vor.

Entscheidung des EuGH v. 12.09.2013, C-64/12

Der EuGH entschied, dass auf den Arbeitsvertrag eines Arbeitnehmers deutsches Recht auch dann anwendbar sein kann, wenn der Mitarbeiter seit Jahren dauerhaft in einem ausländischen Betrieb des deutschen Arbeitgebers arbeitet. Ergibt sich aus den Gesamtumständen, dass der Arbeitsvertrag engere Verbindungen zu einem anderen Land als dem der Tätigkeitsverrichtung aufweist, obliegt es dem nationalen Gericht das Recht dieses anderen Landes anzuwenden (Art. 6 Abs. 2 Halbsatz 2). Maßgebliche Kriterien für die Bestimmung der „engeren Verbindung" seien der Anschluss des Arbeitnehmers an die Sozialversicherung bzw. Einkommenssteuer und sonstige Abgaben, der Wohnsitz des Arbeitnehmers, sowie die Anknüpfung der Parameter über Gehalts- und Arbeitsbedingungen an ein bestimmtes nationales Recht.

Anmerkung

Der EuGH hat in seinem Urteil konkrete Kriterien für die Bestimmung der „engeren Verbindung" zum Recht eines anderen als des Verrichtungsstaates an die Hand gegeben. Diese sind auf die Rechtslage nach Art. 8 Abs. 4 der Rom-I-Verordnung, der für ab dem 17.12.2009 geschlossene Arbeitsverträge anwendbar ist, übertragbar.

Praxistipp

Klagt der Arbeitnehmer am Gericht des Arbeitsortes, ist vor rügeloser Einlassung die Prüfung zu empfehlen, ob dadurch die Rechtslage für den Beklagten Arbeitgeber nachteilig verändert wird. Es empfiehlt sich die Rüge der internationalen und örtlichen Zuständigkeit, wenn Umstände vorliegen, die engere Verbindungen zu einem anderen nationalen Recht begründen.

Dagegen ist von der pauschalen Aufnahme von Rechtswahlklauseln abzuraten. Wird dadurch nicht das ohnehin gesetzlich geltende nationale Recht in Bezug genommen, führt dies im Arbeitsverhältnis zu einer für den Arbeitnehmer erfreulichen, den Arbeitgeber misslichen „Meistbegünstigung". Für das Arbeitsverhältnis gilt nämlich dann - je nach Regelungskomplex - das für den Arbeitnehmer jeweils günstigere nationale Recht.

Dr. Christoph Fingerle, Lisa Kanstinger

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