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Die Internationalisierung der Wirtschaft bringt es mit sich, dass Unternehmen Tochtergesellschaften im Ausland haben und/oder gründen oder bestehende Gesellschaften erwerben. Häufig übernehmen Geschäftsführer der deutschen Muttergesellschaft auch Positionen in Leitungsorganen der ausländischen Tochtergesellschaft(en) - unter anderem, um auf diese Weise eine für die gesamte Gruppe einheitliche Unternehmenspolitik zu gewährleisten. Das Interesse der Gesamtgruppe wird hierbei regelmäßig über dasjenige der einzelnen Tochtergesellschaft(en) gestellt. Dies kann zu Interessenskonflikten und zu unerwünschten Haftungsfolgen für Leitungsorgane von Tochtergesellschaften führen.

Für die Geschäftsführung der Holding/Muttergesellschaft und deren rechtliche Berater stellt die Vermeidung von Haftungsfolgen eine besondere Herausforderung dar, weil es international keine einheitlichen Regeln dazu gibt, unter welchen Voraussetzungen bei der Leitung von (ausländischen) Tochtergesellschaften dem Interesse der gesamten Unternehmensgruppe gegenüber dem Interesse der einzelnen Gruppengesellschaft der Vorrang eingeräumt werden darf. Große Unterschiede dazu gibt es selbst in der EU - und zwar schon im Verhältnis Deutschland - Österreich.

Deutschland: Deutsche Tochtergesellschaften sind in der Regel als GmbH organisiert. Eine deutsche (Tochter-)GmbH genießt von Rechts wegen nur einen sehr eingeschränkten Schutz davor, sich unter der Leitung der Muttergesellschaft dem Gruppeninteresse unterordnen zu müssen und dabei Nachteile zu erleiden: Das Stammkapital darf durch Maßnahmen der Muttergesellschaft (oder anderer Gruppengesellschaften) nicht angegriffen werden. Und: Vermögenswerte, von denen die Existenz der Gesellschaft abhängt, dürfen dieser - auch im Gruppeninteresse - nicht entzogen werden (Verbot existenzvernichtender Eingriffe). Einen weitergehenden Schutz vor Nachteilen durch Maßnahmen der Muttergesellschaft genießt eine deutsche GmbH nicht (wobei in diesem Zusammenhang der steuerliche Aspekt „verdeckte Gewinnausschüttungen" nicht thematisiert wird).

Österreich: Anders als in Deutschland hat der Gesellschafter einer österreichischen GmbH nur Anspruch auf den Bilanzgewinn (§ 82 Abs. 1 ö GmbHG). Ein weitergehender Entzug von Vermögenswerten ist unzulässig; Rechtsgeschäfte mit der Muttergesellschaft (oder anderen Gruppengesellschaften), die nicht dem Drittvergleich entsprechen, führen dazu, dass der Geschäftsführer der Gesellschaft auf Schadensersatz haftet (§ 25 Abs. 2 ö GmbHG).

England: Der Geschäftsführer (director) einer englischen Limited ist grundsätzlich nicht berechtigt, Nachteile für „seine" Gesellschaft im übergeordneten Gruppeninteresse in Kauf zu nehmen.

Frankreich: Das französische Recht bedroht den Geschäftsleiter, der die Interessen „seiner" Gesellschaft den Interessen der Unternehmensgruppe unterordnet und dabei Nachteile „seiner" französischen Gesellschaft in Kauf nimmt, sogar mit einem Straftatbestand, dem „abus de biens sociaux". Unter bestimmten Voraussetzungen lässt die französische Strafgerichtsbarkeit jedoch die Unterordnung der Interessen einer Gesellschaft unter das Konzern-/Gruppeninteresse (und einen dadurch bedingten Vermögensnachteil) zu: „Die Verwendung von Vermögenswerten der Gesellschaft zu Zwecken, die im Konzerninteresse liegen, erfüllt den Straftatbestand nicht, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen: Die Maßnahme muss einem gemeinsamen Konzerninteresse folgen, das auf der Grundlage einer kurrenten Konzernpolitik zu bewerten ist, muss ein ausgewogenes Verhältnis von Vor- und Nachteilen zwischen den Gesellschaftern beachten und darf die Leistungsfähigkeit der betroffenen Gesellschaft nicht übersteigen" (sog. „Rozenblum-Formel": Cass. Crim. 4. Feb. 1985, JCP 1986, II. NO 20585; zitiert nach Teichmann, a.a.O.).

Italien: Die 2004 in Kraft getretene Reform des italienischen Gesellschaftsrechts hat eine unmittelbare Haftung der Muttergesellschaft für schädigende Einflüsse auf die Tochtergesellschaft eingeführt, die sowohl von geschädigten Minderheitsgesellschaftern als auch von Gläubigern geltend gemacht werden kann (Art. 2497 Abs. 1 Satz 1 Codice Civile). Auch der Geschäftsführer der italienischen Gesellschaft hat in diesem Fall ein Haftungsrisiko gegenüber den Gesellschaftsgläubigern, und zwar dann, wenn ihm eine Verletzung der Pflichten, die ihm zur Wahrung des Gesellschaftsvermögens auferlegt sind, nachgewiesen werden kann.

Polen: Auch das polnische Gesellschaftsrecht sieht den Geschäftsführer als „seinem" Unternehmen verpflichtet - und nicht dem Konzerninteresse. Führt der Geschäftsführer einer polnischen Gesellschaft Weisungen der Muttergesellschaft aus, die „seiner" Gesellschaft Nachteile zufügen, so drohen zivil- und strafrechtliche Sanktionen.

Schweiz: Wenn der statutarische Zweckartikel der schweizerischen Gesellschaft (gleichgültig welcher Rechtsform) das Konzerninteresse nicht ausdrücklich umfasst, dürfen sich die Organe der Schweizer Tochter nur an den Interessen dieser orientieren; tun sie das nicht, machen sie sich zivilrechtlich verantwortlich. Geschieht dies auf Weisung der Muttergesellschaft, haftet diese u.U. alternativ oder kumulativ als faktisches Organ. Diese Risiken realisieren sich in der Praxis jedoch selten, was einerseits daran liegt, dass der wohl häufigste Einmischungstatbestand von Konzernleitungen das „financial engineering" ist, was jedoch oft auch im Interesse der Tochter sein kann (also nicht per se zweckwidrig ist) und andererseits in den hohen Hürden für Verantwortlichkeitsklagen im Schweizer Recht begründet ist (so z.B. sind bei Gesellschaften ausserhalb des Konkurs Gläubiger nur in Ausnahmefällen klageberechtigt und überdies geht die Leistung nicht an den Kläger sondern an die Gesellschaft).

Fazit: Andere Länder - andere Sitten. An diesem Grundsatz muss sich jeder orientieren, der Leitungsverantwortung für eine ausländische Gesellschaft übernimmt. Wer nähere Informationen benötigt, sei auf den Aufsatz von Prof. Dr. Christoph Teichmann, Uni Würzburg, verwiesen, auf dem der vorliegende Beitrag beruht und der in der Zeitschrift „Die AG" Heft 6/2013, S. 184 ff. erschienen ist. Und wir stehen bei Fragen selbstverständlich auch gerne zur Verfügung.

Gerhard Manz

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